Fußball-Doping: "Alles Quatsch"
Im Fußball steht die Mauer des Schweigens - im Radsport werden Einzeltäter verfolgt. Und die Politik? Die glaubt noch an das Gute im Sport.
BERLIN (taz) Das Erschrecken hielt sich in Grenzen. Flächendeckendes Doping im deutschen Ligafußball? "Das ist Quatsch", sagte Matthias Herget, einer derjenigen Profis, die beim FC Schalke 04 unter Vertrag standen, als Peter Neururer den Klub trainierte. Der hatte tags zuvor zu Protokoll gegeben, Doping mit dem Stimulans Captagon sei Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre unter Fußballern der ersten Ligen an der Tagesordnung gewesen. Die Suche nach geständigen Ex-Profis aus dieser Zeit zeitigte keine Erfolge. Einzig Michael Krüger, damals Assistenztrainer bei Schalke, will mitbekommen haben, dass in den Siebzigerjahren Doping unter Fußballern in war. Schnell stand Neururer als Denunziant in der Ecke. "Da macht sich einer wichtig", polterte Schalke-Manager Andreas Müller, 1989/90 Spieler unter Neururer. Der DFB forderte den Ex-Trainer nun in einem Schreiben auf, seine Vorwürfe zu konkretisieren, Namen zu nennen.
Neururer ist nicht der Erste, der das Thema Doping im Profifußball hierzulande thematisiert hat. Als Toni Schumacher, damals Torhüter des 1. FC Köln und der Fußballnationalmannschaft, in seinen Erinnerungen, die 1987 unter dem Titel "Anpfiff" erschienen, offen über die Dopingpraxis in der Liga schrieb ("Wahllos schluckten wir Hustensäfte"), wurde er aus der deutschen Fußballfamilie ausgeschlossen. Sein Klub hat ihn entlassen, Schumacher durfte kein Länderspiel mehr bestreiten. Zu Neururers Äußerungen will er auf Anfrage nicht Stellung beziehen. Er ist zurückgekehrt in die Fußballfamilie, war Trainer in Köln und Leverkusen, arbeitet nun im Sportmarketing. Er gehört wieder dazu. Vielleicht will er, dass das so bleibt.
Vor 20 Jahren war es ein Einzelner, der die Szene angeklagt hat. Man wollte nicht wahrhaben, dass stimmt, was er sagt. Vieles hat sich seither nicht geändert. Erst wenn Täter gestanden haben, wenn es glasklare Beweise gibt, dann kippt die Stimmung. Dann ist selbst eine Kanzlerin schockiert, so wie nach den Geständnissen der Telekom-Profis, deren Erfolge in den Neunzigerjahren nur durch den Einsatz des Blutdopingmittels Epo möglich waren.
Unter dem Eindruck der Geständnisschocks stehen auch immer noch Deutschlands Sportpolitiker. Dennoch: Sie glauben immer noch an das Gute im Sport. Ihr Anliegen ist es, die Glaubwürdigkeit des Sports wiederherzustellen, ohne an den Grundfesten der Sportförderung zu rütteln. Am Mittwoch tagte in Berlin der Sportausschuss des Bundestages. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Christoph Bergner, teilte mit, dass die Untersuchungskommission, die die Verwendung staatlicher Fördermittel für die sportmedizinische Fakultät der Universität Freiburg untersuchen soll, im Juli erste Ergebnisse vorstellen wolle. In Freiburg hatten die geständigen Doping-Ärzte Lothar Heinrich, Andreas Schmid und Georg Huber ihre wissenschaftliche Heimat. Sie sind die bösen Buben. Doch es muss weitergehen. "Die Sportler brauchen doch medizinische Betreuung", stellte SPD-Sportpolitikerin Dagmar Freitag fest. Der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, Gast im Ausschuss, sprang ihr bei. "Wir müssen die Versorgung sicherstellen", sagte er. Die Förderung des Leistungssports mit der Unterstützung einer Medizin, deren Hauptinteresse darin besteht, mit gesunden Patienten zu experimentieren, steht nicht zur Disposition. Grundsätzliche Probleme werden auf Einzelfälle heruntergebrochen.
Nicht viel anders hat es sich mit der sogenannten Geständniswelle der Rennradler verhalten. Das vom Telekom-Masseur Jef Dhont behauptete und von Ex-Profi Bert Dietz bestätigte systematische Doping im deutschen Eliteteam ist beinahe wegdiskutiert. Selfmade-Doper waren da unterwegs, die sich selbst besorgte Ampullen spritzten. Der Masseur hat geholfen, auch die Ärzte. Sonst niemand. Der langjährige Telekom-Teamchef Walter Godefroot sowieso nicht. Und so ist es eben keine Selbstverständlichkeit, was Patrice Clerc, der Chef der Veranstalterorganisation der Tour de France, zu Wochenbeginn sagte: "Ich glaube nicht, dass die Manager nicht genau wissen, was sich in ihrem Haus und in den Fahrzeugen ihrer Mannschaft abspielt."
Welche Mannschaften am 7. Juli in London beim Tour-Prolog über die Rampe rollen werden und welche Betreuer in den Begleitfahrzeugen sitzen werden, entscheidet sich in den nächsten Tagen. Am Mittwoch hat sich die Vereinigung der ProTour-Teams darauf geeinigt, ihren Ethik-Kodex endlich zur Anwendung zu bringen. Darin ist geregelt, dass aus der Vereinigung ausgeschlossen werden kann, wer Fahrer an den Start bringt, die in ein Dopingverfahren verwickelt sind. Als der Beschluss gefasst wurde, saßen allerdings die Vertreter der Teams Astana, Bouygues Telecom und Cofidis nicht mehr am Tisch. Bei Astana ist ein gewisser Walter Godefroot als Berater engagiert, gegen Astana-Pilot Eddy Mazzoleni ermittelt das nationale olympische Komitee Italiens. Am Umgang mit dem Team wird sich zeigen, wie viel der Ethik-Kodex wert ist. Der sollte schon einmal angewendet werden. Als Ivan Basso, im Blutdopingfall Fuentes längst aktenkundig, vom Team Discovery Channel einen Vertrag erhielt, stimmte die Mehrheit der Rennställe gegen einen Ausschluss der US-Mannschaft.
Am Dienstag hat der Radsportweltverband UCI die Teamchefs und die Ärzte der Rennställe einbestellt, um sie über Neuigkeiten, die sich aus dem Aktenstudium der Fuentes-Affäre ergeben haben, zu informieren. Ziel könnte es sein, verdächtige Fahrer rechtzeitig vor dem Start der Tour auszusortieren. Die nächsten Einzeltäter.
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