: Furzende Elefanten
Essen (dpa) — „Angsthase, Pfeffernase, morgen kommt der Osterhase, übermorgen Sauerkraut, ist der ganze Tisch versaut!“ Klar: Wem das auf dem Schulhof nachgerufen wird, der ist der Feigling, der Angsthase, eben die Pfeffernase, die wegläuft. Dabei ist dieser Reim noch einer der kunstvollen.
Was Kinder sich so zusammenreimen, ist bisher kaum erforscht. Wenn die Kids ihren Reim Erwachsenen erzählen sollen, bleiben sie meistens stumm. Doch der Essener Erzählforscher Prof. Helmut Fischer ist den Kinderversen mit Kassettenrecorder und einigen Tricks nachgestiegen. Sein Ergebnis: Mehr als 1.700 Reime, ausgedacht und verraten von 845 Sechs- bis Zehnjährigen. Neben den weniger feinen Reimen wie „Scheiße auf dem Autodach, liegt bei 180 flach“ gibt es auch ziemlich böse, die wohl nur selten das Ohr von Eltern oder Lehrern erreichen. Dazu gehören zum Beispiel die „Alle-Reime“: „Alle fahren mit dem Panzer, außer Annette, die ist unter der Kette“ oder „Alle spielen Indianer, nur nicht Bob, der hat 'nen Pfeil im Kopp“. Betroffen dürfte ein Vers machen wie „Alle Kinder sind gesund, nur nicht Peets, der hat Aids“. „Das Problem war, wie ich sozusagen in freier Wildbahn an die Kinder herankomme“, erzählt Prof. Fischer. Zuerst sei er selbst auf Spielplätze gegangen, mit minimaler Ausbeute, weil er der böse Onkel war, und die Kinder nichts erzählen wollten. Schließlich ging er in Schulen und sagte zu den Kindern: Ich bin jetzt der Schüler und ihr die Lehrer. Dann machte er stumm mit den entsprechenden Bewegungen einen Abzählreim vor und fragte, ob die Kinder den Text wüßten. Wenn da so ein Vers wie „Ein Elefant in Oberhausen, ließ einen Furz durchs Telefon sausen, ließ ihn wieder raus, und du bist raus“ kam und der Professor beim Wort „Furz“ nicht sauertöpfisch dreinblickte, sondern mitmachte, war der Bann zumeist gebrochen, und die Kinder erzählten. Manche brachten es auf enorme Gedächtnisleistungen mit bis zu 60 präsenten Reimen. Kinder haben offenbar Vorlieben: „Bei den Klatschspielen überwiegen die Mädchen, und anfangs tun die Jungen mit. Ab neun bis zehn Jahren ist das dann für die Jungen Weiberkram, und sie gehen zu deftigeren Reimen über“, berichtet der Germanist. Lehrer müßten viel mehr beachten, daß die Kinder bei den Reimen musikalische, sprachliche und bewegungsmäßige Leistungen vollbringen, die Erwachsene gar nicht mehr zur Deckung bringen. „Kinder haben eine eigene literaturwissenschaftliche Theorie“, behauptet er. „Eigentlich muß man nur die Grammatik der Kinder zur Entfaltung bringen.“
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