Funkelnde Pailletten, befrackte Gockel und ein ewiges Lächeln

■ Standardtanzen: Impressionen von einem Wettbewerb der Amateure dieses bewegten Genres in Norderstedt

EINWURF, AUSWURF

Funkelnde Pailletten, befrackte Gockel und ein ewiges Lächeln

Standardtanzen: Impressionen von einem Wettbewerb der Amateure dieses bewegten Genres in Norderstedt

„Kikerikiii..!“, scheinen die Männer in ihrem schwarzen Frack innerlich zu krähen. Die Hähne stellen ihren Kamm und stolzieren zur Balz. Das Imponiergehabe läßt die buntgefederten Partnerinnen verzückt lächeln. Die Hamburger Gockel haben auch im Dezember keine Schonzeit. So machten sich die Jäger auf den Weg zu einer Lichtung am Norderstedter Stadtrand, um über die Qualität des Federviehs zu richten.

Im Tanzsaal des TuS Alstertal an der Ohechaussee wetteiferten am vergangenen Sonnabend 14 Tanzbein-schwingende Paare um den Pokal eines Bremer Gerstensaftproduzenten. Timothy Howson und Joanne Bolten aus England bestiegen die höchste Stufe des Siegertreppchens. Den zweiten Platz belegten die Alstertaler Asis Khadjeh- Nouri mit seiner Schwester Iran. Dritter im Bunde ist das italienische Paar, Massimo Giorgianni mit Alessia Segaar.

Bis spät in die Nacht war der glänzende Parkettboden hell erleuchtet. Die Pailletten funkelten und prächtige Petticoat-Kleider schwangen im Takt. Rosa ist „in“ in der dauerlächelnden Wettkampfschwofszene. Auch futuristisch anmutende Extravaganzen sind der „Renner“ der Saison. Abstehende silberne Schulterbügel und girlandenähnliche Gewinde aus Stoff, die an den Armen herumbaumeln, waren zu bewundern. Die sonst so strenge Garderoben-Vorschrift ließ also noch Platz für kleine geschmackliche Schelmereien. Kein von Silberhochzeiten und ähnlichem bekannter Kaiserwalzer begleitete die S-Standard Turnierpaare aus Großbritannien, Dänemark, Italien, Norwegen, Ungarn, den Niederlanden und des Hamburger TuS Alstertal über das Parkett. Musikalisch dominierten eher Reklameliedchen (Southern-Comfort) und Evergreens (Marilyn Monroe, Doris Day). Die hanseatischen Amateur-Tanzpaare und ihre ausländischen Gäste bewiesen ihr taktvolles Können im Langsamen Walzer (English Waltz), Tango, Wiener Walzer, Quickstep und Slowfox. Höchstens sechs Paare dürfen gleichzeitig über das Parkett fliegen, und das nicht länger als zwei Minuten pro Tanz. Die fünf WertungsrichterInnen müssen ein geübtes und ausgebildetes Auge haben, um die Kreuzchen im Ruck-Zuck- Verfahren in die Tabelle eintragen zu können. Nur im Finale zeigen sie ihre Placierungs-Bewertung der einzelnen Paare offen, mit hochgehaltener Nummer. Schönheit, Eleganz und Harmonie wurde nur durch kleinere Ellenbogen-Rempeleien überschattet.

Temperamentvoller und weniger nur auf die Pose bedacht war die erst zehnjährige Caroline Reibe mit ihrem gleichaltrigen Partner Benjamin Gäbler. In der Schüler-Schautanz-Einlage nach der Vorrunde der Erwachsenen überzeugten die beiden, im Kreise der marionettengleich agierenden WettkämpferInnen durch Lebendigkeit. Beim Jive blitzte der Spaß an der Bewegung aus ihren Augen. Das Publikum bekam endlich einen Energiefunken zu spüren. Die zwei tanzten im März auf den Deutschen Meisterschaften als jüngstes Paar auf den neunten Platz. Caroline hat mit fünf Jahren angefangen. Benjamin entdeckte seine Tanzlust durch das Fernsehen. Jeden Tag stehen sie jetzt auf dem Parkett, und das harte Training hat den Spaß noch nicht vertrieben. „Es war richtig blöd, als meine frühere Partnerin auf Klassenfahrt war und ich nicht tanzen konnte“, erzählt Benjamin. Trainiert werden die Nachwuchstalente von Iran und Asis Khadjeh-Nouri. Die Geschwister begannen ihre Tanzkarriere 1975/78. Mittlerweile haben sie sich an die Spitze getanzt und wurden Deutscher Meister, Europameister und dritter der Weltmeisterschaft. Das Standard- Tanzen steht für die beiden gebürtigen HamburgerInnen mit seinen vielen Belastungen im Training und dem Leistungsdruck auf internationalen Turnieren vor den anderen schönen Dingen des Lebens. Denn: Sie wollen an die Spitze.

Die Geschichte vom Standardtanz in Hamburg begann 1913 mit der Gründung des „Boston Club Blau-Gold“. Die ersten großen Turniere wurden 1921 ausgetragen. Drei Jahre später war ein Hamburger Paar deutscher Vizemeister. Mit dem Krieg kam die Flaute im Tanzsport. Erst in den 60er-Jahren lebte er mit der Gründung des Hamburger Tanzsportverbandes wieder auf. Seit '79 heißt es jedes Jahr „Hamburg tanzt“. Besonders flotten Tänzern winkt die „Trimm- Dich-Medaille“. Fernsehübertragungen taten das Übrige, und nicht nur Benjamin entdeckte so die Glanz-und Glamour-Welt der schwingenden Beine. Die Saat für Olympia war gesät. Doch der weltweite Ruf nach Reduzierung der Sportarten im olympischen Programm schlug den aufkeimenden Hoffnungen die Tür vor der Nase zu. Kirsten Lösch