„Fundstätten sind Archive“

ARCHÄOLOGIE Blick zurück bis ins Mittelalter: Führung zu den Ausgrabungen in Harburg

■ 39, Archäologe aus Kiel, ist seit dem Jahr 2012 Grabungsleiter der Ausgrabungen in der Harburger Schlossstraße.

taz: Herr Lüth, warum ist die Harburger Schlossstraße archäologisch interessant?

Philip Lüth: Entlang dieser Straße haben sich im Lauf der Zeit Menschen angesiedelt. Sie haben immer wieder übereinander gebaut, und in Harburg haben wir, was selten ist, vier Meter Kulturschichten vollständig erhaltener Siedlungsgeschichte. Wir können von den 1980er-Jahren quasi bis ins Mittelalter durchgraben.

Sie graben dort seit 2012, um den Boden für ein Wohnungsprojekt zu bereiten. Was haben Sie gefunden?

Einerseits Mauergrundrisse und Balken. Andererseits alles, was im Alltag auf die Lehmböden fiel: Äxte, Hämmer, Schlüssel, Münzen, aber auch Waagen und Pilgerzeichen – bleierne Wandermarken mit religiösen Motiven.

Warum ist an dieser Stelle nicht schon viel früher gegraben worden?

Weil wir Archäologen die Dinge gern längstmöglich im Boden lassen. Fundstätten sind für uns wie Archive. Und wenn wir etwas ausgraben, zerstören wir die Fundstelle, denn wir entnehmen ja etwas. Außerdem sind die Dinge im Boden weit besser konserviert, als wir das könnten. Abgesehen davon ist diese Grabung sehr teuer und konnte nur stattfinden, weil die Stadt die Erschließungskosten für ein IBA-Baugrundstück übernommen hat.

Haben die Schlossstraßen-Ausgrabungen neue Erkenntnisse gebracht?

Ja, es gab viele spektakuläre Funde wie Feuerstellen und Öfen. Und wenn wir hier Ende September fertig sind, wird die gesamte mittelalterliche Stadt Harburg erforscht sein. Das ist einzigartig in Deutschland.

Dann bleibt für Sie nichts mehr zu tun?

Doch. Wir haben kürzlich bemerkt, dass die aus dem 13. Jahrhundert stammende Sandschicht, anders als wir dachten, gar nicht die tiefste ist. Darunter haben wir nämlich Holz und weitere Zäune zutage gefördert. Wegen des Grundwassers können wir aber nicht weitergraben. Dafür fehlen Technik und Geld.

Aber Sie würden gern noch tiefer gehen.

Selbstverständlich. Denn wir möchten gern nachweisen, dass es hier schon im 12. Jahrhundert – im Erbauungszeitraum der Burg – eine Siedlung gab. INTERVIEW: PS

Führung: 14 Uhr, Treffpunkt: Tutech-Haus, Harburger Schlossstraße 6–12