: Füxe, Burschen, Alte Herren
■ Nützliches zu 175 Jahren Geschichte und Soziologie der deutschen Burschenschaften: Das Projekt "Wartburg '92" der Marburger Geschichtswerkstatt setzt einen Kontrapunkt zur alten, neuen Burschenherrlichkeit
Als aus den beiden Deutschländern wieder eines geworden war, hatte innerhalb der deutschen Burschenschaft unverzüglich das Nachsinnen über eine Zeremonie zur Begehung ihres 175. Gründungsjubiläums in Eisenach begonnen. Einige Leute der Marburger Geschichtswerkstatt bekamen Wind von der Sache und gründeten das Projekt „Wartburg '92“ Dort wurde nicht nur die Vergangenheit lokaler Studentenverbindungen ausgegraben, man organisierte eine Konferenz zum Thema „Studentische Korporationen gestern und heute“ und schloß kürzlich die Arbeit an einem Sammelband mit dem Titel „Füxe, Burschen, Alte Herren“ ab.
Um dessen Verbreitung hatte sich bereits Monate vor dem Erscheinen die verbindungsnahe Rechtspostille Junge Freiheit Sorgen gemacht: Ein Artikel, der die Marburger Aktivitäten umstandslos als „Feindbildsuche“ identifizierte, schlug vor, überschüssige Exemplare an „Korporationen zu schicken“, schließlich wolle man dort „auch was zum Lachen haben“.
Diese Ankündigung mußte neugierig machen, denn wenn Verbindungsstudenten in Hochstimmung sind, ist meist Vorsicht angesagt. Schon als anläßlich der Wartburg-Premiere 1817 hochgestimmte Burschenschafter gegen die feudale Restaurierung der deutschen Kleinstaaten protestierten, wanderten der bürgerliche Code Napoleon und die „Germanomanie“ des jüdischen Autors Saul Ascher in das Feuer, welches „Grundsätze und Irrlehren der Zwingherrschaft, Knechtschaft und Ungerechtigkeit“ vertilgen sollte. Hochstimmung der getrageneren Art kam regelmäßig auf, wenn auf verbindungsstudentischen Zusammenkünften der Bismarck-/Wilhelm Zwo-Ära „der Kampf gegen das Judentum“ und gegen die „vaterlandslose internationale Sozialdemokratie“ beschworen wurde, eher ausgelassen war die Stimmung, als sich 1914 korporationsstudentische Freiwillige zum Abmarsch in das „Stahlgewitter“ bereitmachten. Im Jubel über den „Sieg der nationalen Erhebung“ (Katholischer Cartellverband) ging von 1933 an der akademische Habitus bisweilen baden, etwa wenn der Chef der studentischen Landsmannschaft verlautbarte: „Soldaten Adolf Hitlers wollen wir sein, sonst nichts.“ Trotz alliierter Verbote ging die Reorganisation nach 1945 zunächst munter vonstatten, erst das Auftauchen der APO machte die Kappenträger zu einer Marginalie im Hochschul-Alltag. Sie galten plötzlich als fossile Lachnummern, die vorzügliche Karikaturmotive für Erstsemester-Infos abgaben. Als im Verlauf der achtziger Jahre die korporierten Lieblings-Diskurse über „Elite“ und „Nation“ wieder salonfähig wurden, keimte neuer Mut. Der „Servilität gegenüber den Siegern von 1945“ wurde abgeschworen, und auf dem 1991 im „mitteldeutschen“ Eisenach zelebrierten Burschentag war man wieder ganz bei sich: Ein Antrag stellte fest, der deutsch-polnische Vertrag von 1990 sei ein „Super- Versailles“.
Der Sammelband ist allerdings nicht auf eine allein historische Perspektive festgelegt. Sozusagen quer zur Zeitachse handeln Aufsätze vom verbindungsstudentischen Seilschaftsprinzip – „arteigener Stellenvermittlung“ – oder vom verkorksten Demokratie- Begriff der korporierten Community. Die Bestimmung des Politischen, so Frank Deppe, kreise in der burschenschaftlichen Version von jeher um einen „mystischen Volksbegriff“, dem Verfassungsstaat, Gewaltenteilung und Grundrechtssicherung fremd sind. Arno Klönne greift N. Elias' Begriff der „satisfaktionsfähigen Gesellschaft“ auf und untersucht Mentalität und Rituale, die den männerbündischen Zusammenhalt „in der Auseinandersetzung um die Verteilung sozialer Positionen“ fördern. Detaillierte Biografien einzelner Verbindungsstudenten runden das Ganze ab: In G. Schäfers Studie über die Karriere des Reichsfilmintendanten Fritz Hippler wird das Ineinanderfließen von korporierter und nationalsozialistischer Studentenbewegung nachgezeichnet, O. Köhler beantwortet die Frage, wie und warum der Heidelberger Corpsstudent Hanns Martin Schleyer vom SS- Funktionär zum Präsidenten der BRD-Arbeitgeber aufstieg. Da der Band zudem eine Reihe von Dokumenten sowie Auflistung der korporierten Dachverbände, der Fachausdrücke („Charge“, „Wichs“ etc.) und der Literatur zum Thema enthält, kann man beinahe schon von einem Handbuch sprechen. Das bislang gefehlt hatte.
Ludwig Elm/Dietrich Heither/ Gerhard Schäfer (Hrsg.): „Füxe, Burschen, Alte Herren“ Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute. Papyrossa-Verlag Köln 1992, ISBN 3-89438- 050-0, 370 Seiten, 24,80 DM
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