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Füttör för den Wünter

Wie man vier lange Monate in Eis und Dunkelheit ausharrt: In „Die Stunde des Lichts“ denkt Joachim Król als Trapper in Spitzbergen stets nur an das eine  ■ Von Bernd Muggenthaler

Was, um Himmels willen, treibt eine junge, attraktive Frau dazu, vier lange Monate in der menschenleeren Eiswüste Spitzbergens zu verbringen – noch dazu während der Polarnacht? Grenzenlose Naivität, Sinnsuche oder schlicht postpubertärer Narzismus? Die Protagonistin Ellen (Francesca Vanthielen in ihrer ersten nennenswerten Kinorolle) bringt von allen diesen Eigenschaften etwas mit. Weitere Erklärungshilfen zu ihrer Motivation (sozialer Hintergrund oder gar psychologischer Selbstversuch?) bleiben der Phantasie des Zuschauers überlassen. Die einzige Möglichkeit, in dieser unwirtlichen Gegend Unterschlupf zu finden, ist bei Lars, dem Trapper (Joachim Król).

Soweit die Ausgangsbedingungen für ein modernes Märchen, das der belgische Regisseur Stijn Coninx (Oscar-Nominierung 1993 in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ für „Daens“) auf Filmmaterial bannte, das fast an Cinemascope-Qualität heranreicht.

Gleich zu Beginn nimmt die Kamera den Zuschauer mit auf eine Reise durch zerfurchte Gletscher, bizarre Schneelandschaften und vereiste Fjorde. Der Kameramann Theo Bierkens (bekannt durch „Spuren im Schnee“ und Michael Verhoevens „Mutters Courage“) darf seine ganze Erfahrung mit „großen Bildern“ ausspielen. Und der Zuschauer kann nicht anders, als sich einfangen zu lassen.

Ellens innere Grenzen, die sie so gern ausloten will, scheinen dagegen sehr schnell erreicht, als sie Lars zum ersten Mal persönlich gegenübersteht und erkennen muß, daß der ganz und gar nicht ihrem heldischen Nordmann-Ideal entspricht: untersetzt, pummelig, ungepflegt und tollpatschig tapst er aus seinem Bretterverschlag. Und statt Bärenfellen und Kaminfeuer gibt es lose verstreute, stinkende Socken und schmutziges Geschirr – schlicht den Inventar des verwahrlosten Junggesellenhaushalts. Doch damit nicht genug. Lars will eigentlich nur das eine (nach sechs Jahren Einsamkeit durchaus verständlich) und saugt jeden Anflug weiblicher Nähe mit jeder Pore auf. Für sie dagegen können solche Annäherungsversuche nichts weiter sein, als der fleischgewordene sexuelle Alptraum. Stunde um Stunde sieht sie ihre naiven Romantizismen dahinschmelzen, wie das Eis in der Sonne.

Obwohl Francesca Vanthielen kaum Kinoerfahrung mitbrachte, gelingt es ihr, sowohl den gewaltigen Naturbildern als auch einem überzeugenden Joachim Król standzuhalten. Darüber hinaus waren bei den viermonatigen Dreharbeiten (teilweise bei minus 30 Grad) auch noch weitere physische und psychische Qualitäten gefragt. Dazu der Regisseur: „Das wichtigste Kriterium beim Zusammenstellen von Crew und Cast war Stabilität. Wir wußten, daß wir auf Spitzbergen keine labilen Personen brauchen konnten.“

Zum ersten handfesten Streit zwischen den Protagonisten kommt es, als Lars Jagd auf Seehunde macht. Er braucht einfach „Füttör för Hünd för Wünter“, denn schließlich könne er seine Schlittenhunde schlecht mit Popcorn oder Schokolade füttern. Joachim Króls norwegisch gefärbtes Deutsch ist zwar gewöhnungsbedürftig, gleitet jedoch nie in unfreiwillige Komik ab. Wohltuend, Król einmal nicht nur neurotisch von einem Fettnäpfchen zum nächsten kalauern zu sehen.

Albern wirkt lediglich Ellens hysterische Verständnislosigkeit: „Wie kannst du diese niedlichen Tiere einfach umbringen?“ Ihre Kategorien von Gut und Böse, Schön und Häßlich werden gesprengt, überholt von der Notwendigkeit des Überlebens.

Wenn die Dunkelheit näherrückt und auch noch vorübergehend das Funkgerät ausfällt, ist schließlich die letzte Möglichkeit des Davonlaufens genommen. Zeit gerinnt zum ewigen Augenblick. Vier Monate lang nur darauf zu warten, daß alles ein Ende hat, ist menschenunmöglich. Egoistische Zielvorstellungen und überhöhte Erwartungen werden zur Farce, das Eis wird zum Zerrspiegel verlogener Illusionen. Diese Landschaft hat kein Ziel, keinen Anfang und auch kein Ende: Die eigentliche Konfrontation mit dem anderen, die bedingungslose Akzeptanz des Gegenübers wird unumgänglich. So erst entwickelt sich langsam eine Annäherung. Sie findet ihre Vollendung beim Anblick des lange ersehnten Lichtstrahls, der auch die letzten körperlichen Vorbehalte Ellens zum Schmelzen bringt.

Trotz stattlicher 111 Filmminuten und streckenweise äußert lakonischer Dialoge, kommt zu keinem Zeitpunkt Langeweile auf. Auch wenn der Schluß etwas zur Langatmigkeit neigt und schließlich in einer politisch korrekten Edelkitschversion aufgelöst wird: Ellen will wieder zurück in ihr altes Leben und nicht „kleine Trapper zeugen“, wie Lars gehofft hatte. Der Abschied schmerzt, mündet jedoch nicht in die befürchtete Kein- Blick-zurück-Dramatik. Selbstverständlich wird man den Kontakt aufrechterhalten, wohlwissend, daß der Versuch sinnlos wäre, ein derart intensives Gefühl von Verbundenheit vergessen zu wollen.

„Stunde des Lichts“. Regie: Stijn Conix. Mit Joachim Król, Francesca Vanthielen. 1998, 111 Min.

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