: Fürchtet euch nicht
Erst geht ein fremdes Raumschiff in die Erdumlaufbahn. Danach wird es seltsam. Der Zukunftsentwurf „Alien Earth – Phase 1“ von Frank Borsch
VON WERNER LABISCH
Endlich sind sie da, die Außerirdischen. Doch kommen sie als Invasoren? Oder als Freunde? Bringen sie Heil? Oder neue Krankheiten? Egal, die Menschheit bleibt vorerst sowieso mit sich allein. So jedenfalls sieht es Frank Borsch in seinem Roman „Alien Earth – Phase 1“, einer interessanten neuen Version des alten Science-Fiction-Themas von der Eroberung der Erde durch Aliens. Borsch, Jahrgang 1966, kennt sich in dem Genre bestens aus. Lange arbeitete er als Übersetzer für Science-Fiction-Romane und Comics. Er war Redakteur und Autor bei den Serien „Perry Rhodan“ und „Atlan“ und hat nun also sein erstes eigenständiges Werk begonnen, eine Trilogie, deren erster Teil gerade erschienen ist.
Die Geschichte setzt recht konventionell ein. Im August 2058 bezieht ein fremdes Raumschiff Position in einer Erdumlaufbahn. Ein halbes Jahr später empfangen die Menschen einen Funkspruch in 372 Sprachen, mit den biblischen Worten: „Fürchtet euch nicht.“ Danach wird es seltsam. Denn von da an stößt das Schiff regelmäßig kreuzförmige Artefakte aus, die im Pazifik einschlagen, während es gleichzeitig immer größer wird. Ansonsten geschieht: nichts. Selbst die Bombardierung des Raumschiffs führt zu keiner Reaktion.
Die Außerirdischen interessieren sich scheinbar nicht für die Menschheit. Auf der Erde allerdings ereignet sich inzwischen umso mehr. Das ist der Clou dieses Buches. Langsam und sehr ironisch entwickelt Frank Borsch das Bild einer Gesellschaft, die sich irrational verhält.
Es gibt „Alien-Hunter“, die ohne Wissen der Polizei oder des Geheimdienstes in autonomen Einheiten agieren, sich gegenseitig nicht kennen und allein der Alienbehörde und dem Alienminister unterstehen. Sie verfolgen Menschen, deren Gehirn angeblich von den Aliens übernommen wurde. Das macht Denunziation wieder zu etwas Alltäglichem.
„Alien Earth“ kommt ohne große Wunderwaffen oder -maschinen aus, die technischen Entwicklungen, die beschrieben werden, sind eher realistisch als fantastisch. Dieser Zukunftsentwurf fragt, wie Menschen in extremen Situationen agieren. Wie eine Gesellschaft auf eine Bedrohung – denn als solche wird das Raumschiff von den meisten empfunden – antwortet. Das bietet Frank Borsch häufig Anlass für Gesellschaftskritik. Beispielsweise wird im Grundgesetz der Bundesrepublik der Artikel 115a erweitert und lautet nun: „6. Bei einem Angriff auf das Bundesgebiet durch Nichtmenschen ist die Regierung verpflichtet, alle Anstrengungen zu unternehmen, diesen Angriff abzuwehren. 7. Zu diesen Anstrengungen zählt die teilweise oder gänzliche Aussetzung der in den Artikeln 1 bis 19 verankerten Rechte.“
Es gibt noch zwei weitere Handlungsstränge. Der eine: In Deutschland heißen die Arbeitslosen bald „Überschussmenschen“ und werden in fabrikähnlichen Gefängnissen zum Arbeitseinsatz gezwungen. Der andere: Die „Flyboys“ jagen im Pazifik den Artefakten hinterher. Den Versuch einer Flucht aus den Fabriken/Gefängnissen beschreibt Borsch am Beispiel eines „Überschussmenschen“ mit dem Spitznamen „Wieselflink“. Dieser ist Opfer und Täter zugleich. Er muss sich in extremen Situationen zurechtfinden und hat oft nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und selbstverständlich geht es auch in dieser Zukunft meistens ums liebe Geld. Die „Flyboy“-Organisation etwa, die im Wettstreit mit den USAA (United States of America and Arabia) versucht, die Artefakte zu bergen, hat einen so großen Zulauf, dass sie ihre Mitarbeiter über eine Lotterie rekrutiert. Mit diesen Losen wird eine Menge Geld gescheffelt.
Frank Borsch schreibt seine Zukunftsvision in einem humorvoll-ironischen Stil, man liest sich schnell in die Handlung ein. Mit US-amerikanischen Autoren wie Iain Banks oder Vernor Vinge kann er gut mithalten. „Alien Earth – Phase 1“ fügt sich so mühelos in das Genre der „Space Operas“ ein. An manchen Stellen scheint Borsch allerdings Gefahr zu laufen, die Distanz zu verlieren. Doch ist zu erwarten, dass er im zweiten und dritten Teil die Kurve kriegt und die Handlung nicht ins spirituell-schwammig Fantastische driftet. Er hat ja noch tausend Seiten vor sich, um zu berichten, ob das Raumschiff den neuen Jesus bringt, den Antichristen oder beides. Ob sich die „Überschussmenschen“ befreien können, und ob die „Alien-Hunter“ recht hatten mit ihrer Annahme, dass die psychische Übernahme der Menschen durch Aliens unter anderem mit folgender Symptomatik verbunden ist: „Kopfschmerz, erhöhter Blutdruck, Alkoholmissbrauch, eingeschränkte soziale Funktionsfähigkeit“. Oder ob das nur der Normalzustand der Menschen ist.
Phase 2 ist für Oktober angekündigt.
Frank Borsch: „Alien Earth – Phase 1“. Heyne Verlag, München 2007, 493 Seiten, 8,95 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen