Für eine Qualitätsoffensive an Unis: Gute Lehre muss sich endlich lohnen
Ein Plädoyer gegen die strukturelle Vernachlässigung der Lehre an den Hochschulen - und für die Gründung einer "Deutschen Lehrgemeinschaft".
Hochschulen sind "hohe Schulen", an ihnen arbeiten also Hochschul-LehrerInnen - wenn man nur dem strengen Wortlaut folgt. Die Realität ist aber eine ganz andere. Nicht wer im Hörsaal didaktisch brilliert, sondern wer viele Veröffentlichungen mit hohem Impactfaktor vorweisen kann, erwirbt in der akademischen Gemeinde Reputation. Die Habilitation ist formal eine Lehrbefähigung (Venia Legendi), tatsächlich steht aber bei ihr die mit der Habilitationsschrift erbrachte Forschungsleistung im Vordergrund. Wer erfolgreich Drittmittel einwirbt, macht in der Wissenschaft Karriere und wird zum Star. Drittmittel aber gibt es nur für Projekte in der Forschung.
Mitbestimmung der Studis
Das ist Uni heute: Die Hoch-Schulen sind in Wahrheit vor allem Hoch-Forschungseinrichtungen, Hochschul-Lehrer in erster Linie Hoch-Forscher. Die Politik vertieft die falsche Prioritätensetzung zu Lasten der Hochschullehre: Die Förderung der Spitzenforschung durch die Exzellenzinitiative war allein dem Bund 1,4 Milliarden Euro wert, für den Ausbau der Studienplätze im Rahmen des Hochschulpakts 2020 hatte er gerade mal 440 Millionen übrig. Es ist höchste Zeit für eine andere Prioritätensetzung: Die Lehre muss endlich in den Mittelpunkt der Hochschule!
Gute Lehre muss sich lohnen - wir brauchen daher die strukturelle Verankerung von Anreizen für gute Lehre im System der Hochschulfinanzierung. Die Vergabe von Preisen für gute Lehre oder eine symbolische "Exzellenzinitiative für die Lehre" reicht nicht aus. Wir brauchen eine Deutsche Lehrgemeinschaft (DLG) als Pendant zur etablierten Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die Lehrgemeinschaft soll von Bund und Ländern finanziert werden. Sie muss eigenständig sein - damit die Förderung der Lehre kein Anhängsel der Forschungsförderung wird. Und die DLG darf auch keine einfallslose Kopie der DFG werden, in der Spitzenforscher und Wissenschaftsmanager das Sagen haben. Die Lehrgemeinschaft wird nur dann eine Qualitätsoffensive für gute Lehre in Gang setzen können, wenn die Stimme der eigentlichen ExpertInnen für gute Lehre zur Geltung kommt: Bei der Entscheidung über die Vergabe von Drittmitteln für die Lehre müssen die Studierenden daher ein halb paritätisches Mitbestimmungsrecht bekommen.
Eine Deutsche Lehrgemeinschaft kann nur funktionieren, wenn die bedarfsgerechte Grundfinanzierung der Hochschulen gesichert ist. Statt zum zweiten Mal einen "Studentenberg" zu "untertunneln", müssen Bund und Ländern allen Studienberechtigten ausreichend Studienplätze und gute Studienbedingungen sichern. Doch wie die Forschung ist auch die Lehre an den Hochschulen auf kontinuierliche Weiterentwicklung und Impulse angewiesen. Wir brauchen daher eine Deutsche Lehrgemeinschaft, die durch Drittmittelvergabe gezielt Innovationen in Lehre und Studium fördert.
Die Uni von heute muss wieder zu einer "hohen Schule" im besten Sinne des Wortes werden. Sie muss die Studierenden ins Zentrum der Lehre stellen. Hochschullehre ist kein einseitiger Vorgang, in dem es darum geht, Studierende mit vorgefertigtem Wissen abzufüllen. Studierende müssen vielmehr selbstständige Produzenten ihres Wissens werden. Ihre Beteiligung an der bereits von Wilhelm von Humboldt beschworenen "Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden" ist für den Wissenschaftsprozess und seinen Erkenntnisfortschritt konstitutiv. Lernende und Lehrende müssen sich auf gleicher Ebene begegnen. Es kommt nicht auf den Stoff an, den die DozentInnen in die Lehre einspeisen, sondern auf die Kompetenzen, die die künftigen AbsolventInnen für die berufliche und gesellschaftliche Praxis brauchen.
Sender-Empfänger-Format
Hochschullehre, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden will, lässt sich nicht mit den Methoden des 19. Jahrhunderts betreiben. Das einseitige Sender-Empfänger-Format der traditionellen Vorlesung ist seit Erfindung der Buchdruckerkunst überholt. Aufgabe einer Deutschen Lehrgemeinschaft wäre es daher, die Entwicklung und Etablierung innovativer Lehr- und Lernformen zu fördern. Etwa problemorientiertes Lernen, damit das Studium tatsächlich an den in der Praxis benötigten Kompetenzen ausgerichtet werden kann. Oder das Projektstudium, um die scharfe Abgrenzung von Lehrveranstaltungen und Semestern zu überwinden und zu lernen, im Team Problemlösungen zu entwickeln.
Für die Forschung ist die Projektförderung durch staatliche Drittmittel ein bewährtes Instrument. Die Lehre muss mitziehen, wenn sie nicht völlig unter die Räder kommen will. Zwischen Drittmittelförderung auf der einen Seite und Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen auf der anderen Seite besteht im Übrigen kein zwingender Zusammenhang. Jedes Wirtschaftsunternehmen muss lernen, sich durch eine vorausschauende Personalplanung an sich verändernde Auftragslagen anzupassen. Warum sollen dies nicht auch die Hochschulen lernen und eine qualifizierte Mitarbeiterin heute in einem Lehrprojekt, morgen in einem Forschungsprojekt und übermorgen auf einer Haushaltsstelle einsetzen, statt sie alle zwei Jahre auf die Straße zu setzen? Zu einer Qualitätsoffensive für gute Hochschullehre gehört auch eine aktive Personalentwicklung, mit der Hochschulen die Kompetenzen ihrer WissenschaftlerInnen systematisch fördern.
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