piwik no script img

Für den Pleitegeier gebaut

In Berlin werden zwei Millionen Quadratmeter Büroflächen gebaut. 500.000 stehen jetzt schon leer. Investoren hoffen auf den Regierungsumzug  ■ Aus Berlin Uwe Rada

Berlins prominentester Torso steht an der Friedrichstraße. 1,4 Milliarden Mark haben es sich amerikanische und deutsche Investoren kosten lassen, den Rohbau der realsozialistischen Friedrichstadtpassagen abzureißen und an ihre Stelle drei protzige Büro- und Geschäftsblöcke zu setzen. Doch die angestrebte Wiederbelebung der Friedrichstraße droht zur Totgeburt zu werden. Statt – wie vorgesehen – in diesem Herbst, öffnen die Passagen erst im kommenden Frühjahr. Außer dem französischen Luxuskaufhaus „Galeries Lafayettes“ und der Nachrichtenagentur Reuter sind Mieter Mangelware. Flop statt Top?

Noch vor drei Jahren ließ der Berliner Immobilienmarkt die Herzen von Anlegern und Developern höher schlagen: Der Berliner Senat ließ sich von dieser Euphorie anstecken. Über 12 Millionen Quadratmeter Büroflächen, so verkündete der Baudirektor des Senats, Hans Stimmann, würden – zusätzlich zum Bestand von zehn Millionen – bis zum Jahre 2010 benötigt. Berlin habe, so hieß es, im Vergleich etwa zu Frankfurt erheblichen Nachholbedarf. In der Bankenstadt am Main gebe es pro Einwohner viermal soviel Büroraum wie in der Hauptstadt.

Doch die Rechnung wurde ohne die potentiellen Mieter gemacht. Nur etwa 300.000 Quadratmeter Bürofläche wurde im letzten Jahr vermietet. Über zwei Millionen Quadratmeter jedoch sind derzeit im Bau, über 500.000 Quadratmeter stehen leer. Die Preise purzelten in den Keller. Statt der noch vor zwei Jahren kalkulierten Mieten von über 70 Mark pro Quadratmeter in Spitzenlagen lassen sich heute nur noch 40 bis 50 Mark erzielen. Der Kunde ist König, und der Pleitegeier kreist über der Hauptstadt. Erstes Opfer war in diesem Jahr das Airport Bureau Center in der Nähe des Berliner Flughafens Tegel. Nachdem Investor Peter Braun in Konkurs ging, zog die Industriebank Berlin das Bürohaus an sich und verscherbelte es mit statt den kalkulierten 40 für 19 Mark pro Quadratmeter.

Ob am westlichen Kurfürstendamm, an der Spree oder im Arbeiter- und Arbeitslosenbezirk Friedrichshain, überall in Berlin bietet sich derzeit derselbe Anblick: Aus gläsernen oder steinernen Büroblöcken hängen Transparente mit überdimensionierten Telefonnummern darauf und dem Bettelspruch „Zu vermieten“. Abschreckende Wirkung zeigt die Büroflaute indes nicht. Vielen Investoren und Anlegern geht es derzeit weniger um die Vermietung als um die Investition als solche. Geradezu paradiesische Steuersubventionen locken schließlich noch bis Ende nächsten Jahres und versprechen Sonderabschreibungen von 50 Prozent der Investitionen bereits im ersten Jahr. Für die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstätt ein Grund, nun Alarm zu schlagen. Sie wendet sich entschieden gegen Überlegungen, leerstehende Büroflächen durch die öffentliche Hand zu nutzen. Statt dessen fordert sie, im Rohbau befindliche Bürohäuser sofort umzunutzen. „Was ich mir wünschen würde“, sagt Eichstätt, „wäre die Verfügung solcher Häuser für Initiativen von arbeitslosen und jungen Menschen in Ausbildung.“

Doch ein radikales Umdenken in der womöglich kommenden Crashtown ist freilich nicht in Sicht. Statt dessen spielen sowohl Investoren als auch die politisch Verantwortlichen auf Zeit. Bis zum Regierungsumzug, so lautet die Hoffnung, ist mit größeren Crashs nicht zu rechnen. Zwar haben sich einige Investoren mit Vermietungsgarantien gegenüber den Anlegern selbst einen Klotz ans Bein gebunden, doch bis zum Regierungsumzug um die Jahrtausendwende soll alles besser werden. Bis dahin, so meinen Branchenkenner, sorgen vor allem institutionelle Anleger wie Banken und Versicherungen für die nötige Stabilität auf dem Immobilienmarkt. Und manch pfiffiger Investor glaubt, durch das „Einmotten“ der leeren Büros nicht nur die teuren Betriebskosten zu sparen, sondern über die Durststrecke hinwegzukommen.

Der verhaltene Optimismus mancher Investoren wird freilich nicht von allen Beteiligten geteilt. Die Banken sind nach der Schneider-Pleite wach geworden und legen nun strengere Maßstäbe an. Kein Wunder, stiegen doch die Zinsrückstände bei den Hypothekenbanken im vergangenen Jahr auf das Doppelte an. Enstprechend verhalten waren die Neuzusagen für Büroprojekte: Ihre Zahl sank um 12 Prozent. „Kunden, die mit der Hoffnung investieren, es werde schon gutgehen, haben heute keine Chance mehr“, so bringt es die Referentin des ostdeutschen Giro- und Sparkassenverbandes, Dorothee Hennings, auf den Punkt.

Wenig Chancen für eine Marktwende sieht die bündnisgrüne Baupolitikerin Franziska Eichstätt. Für den Umzug von 10.000 Bonnern im Troß der Regierung, rechnet sie vor, „würden die heute leerstehenden Büroflächen bereits ausreichen“. Und auch Branchenkenner sprechen eher von einem psychologischen Signal, das der Regierungsumzug auf Verbände und Dienstleister auslösen kann. Wohlgemerkt kann, aber nicht muß.

Diese Aussichten vor Augen, haben viele Investoren und Projektentwickler bereits die Konsequenzen gezogen und werfen ihre Projekte vor Fertigstellung auf den Markt: Nicht zum vermieten, sondern zum Verkauf. Auch dafür gibt es an der Friedrichstraße ein beredtes Beispiel: Die Investoren des American Business Center am ehemaligen Grenzkontrollpunkt Checkpoint Charlie suchen, nachdem sie den Baubeginn monatelang verzögert haben, bereits jetzt nach neuen Käufern – und sich selbst in Sicherheit zu bringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen