Für Wintersportfans ist jetzt Hochsaison: Geah, Moni, Schaatzerl, dös paackst!
Die Piste ruft und die Wintersportfans kommen. Es ist ein eigener Menschenschlag: temperaturresistent, geschmacklos und leidensfähig.
Jetzt wedeln sie wieder, die Helden der Halden, Heroen am Hang. Jetzt zwängen sie sich wieder in ihre zu kleinen Corsas, zu knappen, erdbeerfarbenen Kunststoffkostüme, in die zu engen Skiliftsessel und zwischen Tausende genauso entschlossene Ihresgleichen auf viel zu überfüllte Pisten. Und alles ganz ungezwungen. Hauptsache Schnee.
Nichts kann sie abhalten, nichts. Nicht ranzige Landjäger, die sich bärtige Hüttengangster in Gold aufwiegen lassen, Eisbahnen mit 70-Grad-Gefälle, die fälschlicherweise Pisten heißen, oder Liftkarten zu einem Preis, zu dem man anderswo Aktienpakete ersteht. Weder schreckt sie, dass ihre Männer sich den Hals verrenken nach windschlüpfrigen Blondinen, noch dass die Gattinnen dahinschmelzen unter dem Strahlen von Skilehrern namens Böppi oder Joe, auf deren Schleimspur mühelos ein Slalom-Weltcuplauf auszutragen wäre: „Geah, Moni, Schaatzerl, dös paackst!“
Dankbar nehmen sie im idyllischen Bergdorf vorlieb mit Besenkammern, Hergottswinkeln und zugigen Turnhallen. Schon früh am Morgen erheben sie sich, geweckt vom anheimelnden Rattern der Schneekanonen und Planierraupen, werfen einen Blick durchs Fenster und stoßen einen Wonneschrei aus.
„Geh, Schatzerl, schaug“, versuchen sie sich im örtlichen Idiom, „dör Schnee!“ Die Verblendung greift: Schnee, diese Menschheitsgeißel in Pulverform, erscheint ihnen wahlweise als „Weiße Pracht“, „Orgie in Weiß“ oder „Weißes Winterwunderland“.
Hurtig zwängen sie sich in Lurex, Latex oder Lycramix und reihen sich ein in die Schar der anderen Erniedrigungen-und-Beleidigungen-Sucher. Schweigend, in endloser Karawane stapfen sie zum Lift, ihr Joch geschultert, einer harten Acht-und-mehr-Stunden-Schicht entgegen. Und dann schrappen sie geduldig den ganzen Tag über fremde Kufen, rammen sich Helme in Mägen und Skispitzen in Nieren, donnern mit tauben Zehen gegen Lautsprecherboxen und hechten, munter gejagt von Ihresgleichen, kopfüber in harschige Haufen. Carven, wedeln, driften oder telemarken, nennt es ihre innere Zensuranstalt euphemistisch. Die Pausen nutzen sie, um bösartige Malignome weiterzubrüten und Leber und Magen mit einem Alleskleber namens Glühwein zu versiegeln. Und nirgendwo ein Klo! Ihre Kinder haben sie in Fun-Parks abgeliefert, in denen sie unverzichtbare Kulturtechniken des 3. Jahrtausends lernen: Iglubauen, Stockbrotrösten und Zahlen-in-den-Schnee-pinkeln.
Nahkampf mit Böppi
Wollen sie sich etwas Besonderes gönnen, melden sie sich in einer „Skischule“ an. Dies sind jene Veranstaltungen, in denen sich Damen sammeln, die es in den körperlichen Nahkampf mit Böppi oder Joe zieht. Und Männer, die danach lechzen, mal wieder so richtig zum Idioten gemacht zu werden: „Jetzt schön den Außenski belasten …na, net so, Walter … da geht er … weg iss er … i pass derweil aufs Evi auf, Alter.“
Gern auch geben sie Geld, um große Firmenlogos spazierentragen zu dürfen, wie sie überhaupt für alles gerne Geld geben: Kaiserschmarren aus Trockenei, kurzatmige Jodler und Juchzer, Gamsbarthüte made in Hongkong. Kellnerinnen, die ihnen Bierkrüge in den Rücken hauen und „Geah, was stehst so blöd rum?“ raunzen, überschütten sie mit klingender Münze. Unverschämt sei die, die Zenz? Ach was: Resolut ist sie – und das muss sie ja wohl sein!
Abends, auf der Hütte, führt Böppi das Wort. Oder Joe. Und wie. Mit einem Arm balanciert er den Stuhl samt Evelyn aus Essen, während er „Es lebe der Sport“ schmettert und einen Williams nach dem anderen kippt. So war die Wette, der Mann aus Iserlohn zahlt – „den Deckel von gestern am besten glei mit, wenn’st scho amol dabei bist!“ –, derweil die Damen sich halbtot lachen über Witze, die sie zu Hause jedem Macho abgrundtief in den Rachen zurückstoßen würden.
Schlecht und gemein und durch und durch verdorben ist sie, die Welt am Hang und darüber und unterhalb. Es schmerzt so sehr. Es tut so gut. Das ideale Terrain zum Sichwohlfühlen.
Ein witziger Orthopäde
Wen wundert also, dass Herr und Frau Gnadenlos-gegen-sich-selbst geradezu aufblühen in diesen Tagen. Vollkommen aber ist ihr Glück erst, wenn einer von Ihresgleichen die nagelneuen Carving-Bretter in handliche Stücke zerlegt hat.
Oder am Ende des ersten Tages, spätestens am Anfang der zweiten Woche der lokale Orthopäde sein vergoldetes Händchen an sie legt und dröhnt: „Hals- und Beinbruch, mein Lieber – war bloß ein Witz! Kapselriss, doppelter Wadenbeinbruch, wunderschöne Hämatome. Respekt, mein Lieber, Respekt!“ Und wenn es dann vom Böppi a Bussi gibt, oder vom Joe, und etwas Gekritzel mit dem Filzer aufs strahlende Weiß, dann lehnen sie sich befriedigt in die weißen Kissen zurück. Hier ist gut sein: Hunderte von Rippenprellungen können nicht irren.
Es ist in der Tat ein erstaunlicher Menschenschlag, dies abfahrende Volk: temperaturresistent, absolut geschmackfrei, unendlich leidensfähig. Und in keinem Moment Herr seiner Sinne.
Wir aber, die wir nicht für das Bibbern im Morgennebel und das Scharren über tiefgefrorene Kuhfladen geboren sind, wir, für die die Bretter nicht die Welt bedeuten, sondern eine Zumutung, und für die Schnee keine Verheißung ist, sondern ein Fluchtgrund – wir stehen stumm vor diesem Wunder, und ein wenig fassungslos ob der seltsamen Blüten, die die menschliche Evolution in ihrem unerforschlichen Ratschluss getrieben hat: Was es nicht alles gibt!
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