: Fünf wie Zapfsäulen
■ Schlüsselszene für Schlüsselszene: Theater Rotwelsch zeigt R. W. Fassbinders Film „Angst essen Seele auf“ erstmals als Theaterstück am Halleschen Ufer
Rainer Werner Fassbinder hat etliche Theaterstücke geschrieben und manchen Filmstoff auch auf der Bühne abgehandelt. Daß ein Theater nun versucht, auch aus einer von R. W. F. nur verfilmten Geschichte wie „Angst essen Seele auf“ (1973) eine Bühnenhandlung zu destillieren, ist durchaus legitim.
Tatsächlich gelingt es dem Theater Rotwelsch, die Liebes- und Leidensmoritat von der alten Putzfrau Emmi, die den jungen, marokkanischen Arbeiter Ali im biederbayerischen Umfeld heiratet, als Theaterstück knapp zu erzählen. Die in Kitsch und Bosheit bewußt überdeutlich gestaltete Handlung, die filmisch noch wie ein Volksstück wirkt, zeigt sich auf der Bühne allerdings eher als Lehrstück. Schlüsselszene reiht sich an Schlüsselszene, die von Fassbinder lustvoll karikierte Gesellschaft erscheint als dürrer Chor.
Das ist der eine Einfall der Regisseurin Winni Victor, die das Theater Rotwelsch 1986 gegründet hat und seit 1993 in Berlin arbeitet. Einen anderen gibt es nicht. Marion Lindt und Alberto Fortuzzi zeigen die Geschichte von Emmi und Ali als komprimiertes Pendant vom Filmpärchen Brigitte Mira und El Hedi Ben Salem. Eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit Lindts mit Mira ist ohnehin vorhanden, die resolute Verletzbarkeit und kompakte Mütterlichkeit in Mimik und Gestik tut ihr übriges – eine nicht unangenehme, zarte Rührseligkeit entsteht dadurch wie von selbst.
Jetzt aber der Chor. Daß Fassbinder mit den erst hämisch-entsetzten und später aus Kalkül einschmeichelnden Reaktionen der Kinder und Nachbarn Emmis die Gesellschaft im ganzen meinte, verdeutlicht Victor in Kollektiven. Spricht einer, sprechen alle. Gemeinsam oder abwechselnd, Gesichter und Rollen sind austauschbar. Das ist eine bewährte und einsichtige Methode, deren sich auch Einar Schleef oder Carsten Ludwig (Dresden) bedient. Während diese beiden ihre Inszenierungen damit jedoch rhythmisieren und durch die Ästhetik meist differenzierte Aussagen treffen, hält Victor den Ansatz schon für den Inhalt. Das wird oft unfreiwillig komisch, wenn einer auftritt, ein anderer sich als Schatten hinter ihn stellt und für ihn spricht. Oder fünf stehen wie Zapfsäulen da und sagen auf. Das meistens.
Drei Parkbänke bilden jedes Ambiente (Ausstattung: Sibylle Gädeke), das Licht ist für Stimmungen zuständig. Jeglicher Farbigkeit und Ironie beraubt, behauptet „Angst essen Seele auf“ in dieser Fassung nur noch, daß Fremdenfeindlichkeit allein auf klischeehafter Unkenntnis der jeweils anderen Kultur beruht. Die Bühne wäre das Medium für die Psychologie, die Fassbinder in einem Publikumsfilm nicht zeigen wollte. Winni Victor hat darauf verzichtet, und so wurde aus der „Uraufführung“, die als Koproduktion mit dem Theater am Halleschen Ufer, dem Mousonturm Frankfurt/Main und dem Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin entstand, eher eine Urabführung. Petra Kohse
Weitere Aufführungen: heute und morgen sowie 17.–22. Januar, 20 Uhr, Theater am Halleschen Ufer, Kreuzberg. Aufführungen im Mousonturm Frankfurt/Main: 14.–18. Februar, 20 Uhr, im Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin (Kammerbühne): 17./18.März, 20 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen