Fünf Jahre Irak-Krieg: Das Irak-Paradox
4.000 US-Soldaten sind im Irak gefallen, die Präsidentschaftskandidaten nutzen das Thema. Die Amerikaner wenden sich achselzuckend ab.
WASHINGTON taz Er ist einfach verschwunden. Der Krieg im Irak wurde in den USA verdrängt von Themen wie dem US-Präsidentschaftswahlkampf und der Wirtschaft. In den ersten zehn Wochen des Jahres 2008 befassten sich gerade drei Prozent der Nachrichten mit den beiden Kriegen in Irak und Afghanistan, die das US-Militär seit 2003 führt. Das errechnete das Project for Excellence in Journalism.
"Die Kosten einer jeglichen Intervention werden gering sein." Glenn Hubbard, Wirtschaftsberater des Weißen Hauses, Oktober 2002
"Irak ist ein sehr reiches Land. Es hat enorme Ölreserven. Es kann weitgehend seine eigene Rekonstruktion finanzieren, und ich habe keinen Zweifel, dass es das wird." Richard Perle, Vorsitzender des Rats für Verteidigungspolitik des Pentagons am 11. Juli 2002
"Wenn es um die Rekonstruktion geht, werden wir uns, bevor wir uns an den amerikanischen Steuerzahler wenden, zunächst an die irakische Regierung und dann an die internationale Gemeinschaft wenden." Donald Rumsfeld, US-Verteidigungsminister, am 27. März 2003
"Die wahrscheinlichen ökonomischen Effekte (eines Kriegs im Irak) werden relativ gering sein Unter allen möglichen Szenarien werden die negativen Effekte im Verhältnis zu den Vorteilen gering sein." Lawrence Lindsey, Wirtschaftsberater des Weißen Hauses am 16. September 2002
"Es ist unvorstellbar, dass die USA hunderte von Milliarden Dollar beisteuern müssten und sehr unwahrscheinlich, dass wir selbst zig Milliarden beisteuern müssten." Kenneth Pollack, früherer Direktor für Angelegenheiten des Persischen Golfs beim Nationalen Sicherheitsrat im September 2002
"Wir sprechen über ein Land, das wirklich seine eigenen Wiederaufbau finanzieren kann, und das ziemlich bald." Paul Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, als er am 27. März 2003 vor dem Unterkomitee des Haushaltsausschusses des US-Kongresses aussagt
Das National Priority Project schätzte, dass bis Ende Oktober 2007 der Anteil der US-Steuern an den Kriegskosten im Irak 463 Milliarden US-Dollar knapp überstieg.
Quelle: Christofer Cerf und Victor Navasky, "Mission Accomplished! Or, how we won the war in Iraq; The Experts speak".
Was ist passiert, dass der Krieg, der die USA ihr Vermögen und knapp 4.000 SoldatInnen sowie ebenso viele private Söldner das Leben kostete, kein Thema mehr ist?
Im September 2007 sagte der kommandierende General David Petraeus vor dem US-Kongress aus, dass die umstrittene Strategie von US-Präsident George W. Bush, die Truppen aufzustocken, genannt "surge" ein Erfolg sei. Damit brach das Interesse an dem Krieg abrupt ab. Eine Umfrage des Washingtoner Pew Research Centers im Februar ergab, dass nur noch rund 28 Prozent der US-Bürger überhaupt wissen, dass knapp 4.000 US-Soldaten im Irak gestorben sind.
Die Kommentatoren sind dennoch einhellig der Meinung, dass der Irakkrieg gemeinsam mit der Wirtschaftskrise das wichtigste Thema dieses Wahlkampfs sein wird. Allerdings bleiben die drei verbliebenen US-Präsidentschaftskandidaten weiterhin so unkonkret wie möglich bei der genauen Definition ihrer Irakpläne.
Sowohl Hillary Clinton als auch Barack Obama, die beiden demokratischen Rivalen, verbringen viel Zeit und Energie mit der Frage, wer Recht hatte damals, zu Beginn des Kriegs, mit der Präsentation überzeugender Lösungen. Sowohl Clinton als auch Obama wollen bereits kurz nach Amtseinführung im Januar 2009 mit dem Truppenrückzug beginnen: Clinton 60 Tage nach ihrer Amtseinführung, also im März 2009. Obama will den Krieg noch im selben Jahr beenden. Zwar haben sich beide Kandidaten dabei Spielraum gelassen, doch ihre Botschaft lautet: Truppenabzug! Beide versprechen Abzugspläne, die mancher Nahostexperte als halbgar bezeichnet, da sie den Abzug nicht an Entwicklungserfolge im Irak koppeln.
Ihr Widersacher, der Republikaner John McCain, der sich selbst als Kriegsheld stilisiert, will von einem voreiligen Abzug nichts wissen. Selbst schon 71, ließ er bereits vor Wochen durchblicken, dass er, wenn nötig, als Präsident auch "100 Jahre" im Irak bleiben würde. So lange eben, bis der "Sieg", was auch immer das angesichts des Bürgerkriegs auch sein soll, erreicht sei. Seine Politik sieht vor, die irakische Regierung im Status einer Befehlsempfängerin zu halten und damit die dringend notwendigen politischen Entwicklungsprozesse auf Eis zu legen.
Eine offene Debatte über die Ziele und die Lösungen für den Irak kommt so nicht zustande. Auch fünf Jahre nach dem Beginn des folgenreichen Einmarsches gibt es von niemandem in der US-Politik - Kandidaten eingeschlossen - Vorschläge für anerkannte, definierte Kriterien, sogenannten Benchmarks. So kommt es zu keiner konstruktiven Debatte darum, welche Erfolgskriterien erreicht werden müssten, um graduell die Macht an die irakische Regierung zu übertragen. Geschweige denn, nach welchen Benchmarks die US-Truppen abziehen könnten und sollten.
Die Debatte, die an Stelle der Erarbeitung eines handhabbaren Arbeitskatalogs geführt wird, bietet daher wenig mehr als bedeutungsloses Theater um Recht haben und Stimmen bekommen. Drin bleiben oder rausgehen. Da wundert es nicht, dass die meisten US-BürgerInnen beim Irak nur noch achselzuckend weiterzappen.
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