Fünf Jahre Elektroschrott-Gesetz: Weniger Recycling als zuvor
Fünf Jahre nach dem Start des neuen Elektroschrott-Gesetzes sind Experten enttäuscht - es werden weniger Geräte wiederverwendet als vorher.
Als der damalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) im Jahr 2008 Bilanz zog, hatte er eine magische Zahl: Acht Kilogramm, dies sei der Beitrag einer modernen Abfallwirtschaft zum Klimaschutz. So viel hatten deutsche Entsorger, drei Jahre nach Einführung neuer Sammelstrukturen für Elektroschrott, pro Jahr und Kopf gesammelt, recycelt und verwertet. Doppelt so viel wie EU-weit vorgeschrieben ist: ein politischer Erfolg.
1,6 Prozent aber ist die Zahl, die ein ganz anderes Licht auf das deutsche Schrottsammelwesen wirft, das genau heute vor fünf Jahren grundlegend neu geordnet wurde. Gerade mal dieser geringe Anteil der alten Elektrogeräte, die Bürger und Unternehmen unter anderem an den kommunalen Wertstoffhöfen abgeben, sind heute nach offiziellen Daten wieder verwendbar. Vor Einführung des Gesetzes "ElektroG" waren es, so Erfahrungen verschiedener Recyclingbetriebe, noch rund zehn Prozent.
1,6 statt zehn Prozent von jährlich gesammelten rund 800.000 Tonnen Altgeräten: "Da bleibt ein riesiges Potenzial ungenutzt", sagt Ralf Brüning, Experte für Abfallwirtschaft an der TU Dortmund. Laut Gesetz sind heute nicht mehr die Kommunen, sondern die Hersteller der Elektrogeräte dafür zuständig, diese zu entsorgen und zu verwerten. Die machen aus Preisgründen meist Verträge mit Großentsorgern, anstatt wie früher auch regionale, oft gemeinnützige Kleinbetriebe zu beauftragen, die beim Sammeln mehr auf Wiederverwendung achten.
Die Entsorger sammeln Altgeräte wie Fernseher und Rechner heute in Großcontainern auf den Recyclinghöfen der Kommunen. Doch die meisten Geräte werden beim Einladen beschädigt. "Was einmal in einen Container gekippt wird, ist Schrott", sagt Brüning.
Dabei schreibt das ElektroG eine Sammlung vor, die eine Zweitnutzung "nicht behindert". Doch mit der neuen Verantwortung der Hersteller haben die Kommunen kein finanzielles Interesse mehr daran, auf eine mögliche Wiederverwendung zu achten. Nach wie vor können Kommunen allerdings direkt mit Recyclern kooperieren und somit die zentralistisch organisierte Sammelstruktur umgehen. So macht es zum Beispiel die westfälische Kleinstadt Herford. Durch die dort aktive Recyclingbörse, die von einem gemeinnützigen Verein getragen wird, sind bis zu acht Prozent der gesammelten Altgeräte wiederverwendungsfähig. "Theoretisch machbar wären sogar 15 Prozent", so Claudio Vendramin, Vorstand des Vereins.
"Das Interesse der für die Entsorgung verantwortlichen Gerätehersteller an Wiederverwendung ist gleich null", kritisiert Vendramin. Da gehe der Neukauf von Geräten vor. Tatsächlich pocht der Herstellerverband ZVEI in einer Stellungnahme auf "energieeffizientere" Neugeräte statt eine längere Nutzung.
"Die Wiederverwendung schneidet in den meisten Fällen ökologisch besser ab als die Neuproduktion der Geräte", sagt hingegen Knut Sander vom Hamburger Institut Ökopol. Während der Kunde etwa bei Waschmaschinen und Kühlschränken ab einem Alter von 15 Jahren durch einen Neukauf tatsächlich viel Energie und Wasser sparen kann, verbraucht er mit einem modernen Flachbildschirm oft mehr Energie als mit dem alten Röhrengerät. Sander hält daher eine verbindliche Wiederverwendungsquote für sinnvoll. Weder im Bundesumweltministerium noch auf EU-Ebene denkt man zurzeit aber darüber nach.
"Das Thema Wiederverwendung wird von vielen Akteuren sehr stiefmütterlich behandelt", sagen selbst Fachleute aus den Bundesumweltbehörden hinter vorgehaltener Hand. Das von Norbert Röttgen (CDU) geführte Bundesumweltministerium sieht die Verantwortung laut einer Stellungnahme allerdings eher bei den Verbrauchern, die "eine Fülle an Möglichkeiten" hätten, dass "gebrauchsfähige Elektrogeräte gar nicht erst in den Abfallstrom gelangen", darunter fallen etwa Internettauschbörsen oder Gebrauchtwarenläden.
Immerhin lässt das Bundesumweltministerium derzeit in einer Studie mögliche Kriterien für ein "ReUse-Label" untersuchen. Das Qualitätssiegel könnte künftig auf Gebrauchtgeräten prangen, die nach festgelegten Vorgaben auf ihre Funktionstüchtigkeit hin geprüft wurden.
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