piwik no script img

Fuchs und EselFressen und Gefressenwerden

Wer mit Vernunft argumentiert, ist als Erster tot: In der Fabel gilt das Recht des Stärkeren - oder das des Hinterlistigen. Die Ausstellung "Fabeln. Natur und Mensch" im Oldenburger Landesmuseum illustriert die multikulturellen Wurzeln einer zu Unrecht verniedlichten Gattung.

Miniatur mit der Szene „Die Enten und die Schildkröte“ aus der Fabelsammlung Kalila wa-Dimna des Ibn al-Muqaffa. Bild: Bayrische Staatsbibliothek München

Das konnte nicht gut gehen. Oben auf dem Dach ein Geiernest voller hungriger Mäuler, unten eine Katzenfamilie mit nicht minder ausgeprägtem Raubtierinstinkt. Es ist die Geiermutter, die den Nichtangriffspakt bricht und die kleinen Katzen verspeist. Doch göttliche Gerechtigkeit lässt nicht lange auf sich warten: Das noch glühende Opferfleisch, das die Geiermutter aus dem Tempel stibitzt hat, lässt ihr Nest in Flammen aufgehen. Ob es ein adäquater Trost für eine trauernde Katzenmama ist, dass ihr gebratene Geierbabys direkt in den Mund fallen, mag der ägyptische Leser im 2. Jahrhundert vor Christus vielleicht mit "ja" beantwortet haben.

In jedem Fall ist die Welt der Fabeln eine kalte Welt des Fressens und Gefressenwerdens. "Dem Leser führt sie vor, wie man sich in einer gefahrvollen und tückischen Umgebung richtig benimmt", erklärt Eckhard Grunewald, emeritierter Oldenburger Germanist und Mit-Kurator der Ausstellung "Tierisch moralisch" im Landesmuseum Natur und Mensch. Die Götter helfen in dieser Welt nur, wenn man Glück hat. Von den ersten Fabeln, die in Mesopotamien um 2.500 vor Christus entstanden, bis zu den Bearbeitungen des frommen Luthers hat sich hier nichts geändert: Es ist selten der Gottesfürchtige, der den Sieg davonträgt. Eher schon der Listige. Das Lamm, das an die Vernunft des Wolfes appelliert, wird gnadenlos gefressen, weil sich die Herren dieser Welt nun einmal nicht um Argumente scheren müssen.

Wenn das Image einer literarischen Gattung seinen Tiefpunkt erreicht hat, wird sie zur Kinderlektüre. Was weder etwas über die Gattung noch über den literarischen Geschmack von Kindern aussagt. Fabeln sind heute Schulstoff der fünften bis siebten Klassen. In der arabischen Welt, berichtet Mamoun Fansa, der aus Syrien stammende Leiter des Landesmuseums, kennt jedes Kind Kalila und Dimna. Die beiden Schakale haben der bekanntesten arabischen Fabelsammlung ihre Namen gegeben. Ihre Geschichten als Animationsfilme sind ähnliche Popkultur-Klassiker wie Disneyfilme im Westen. So wurde Fansa auf der Suche nach einem Ausstellungsthema, das seine These - der Orient lasse sich nicht von Europa trennen - illustriert, in der eigenen Biografie fündig: Das Exemplar von "Kalila und Dimna", das er selbst als Kind verschlungen hat, ist zum Ausstellungsexponat geworden. Bisher hat sich Fansa mit Persönlichkeiten auseinander gesetzt, die als Versöhner im Kampf der Kulturen gelten: mit Sultan Saladin und Stauferkaiser Friedrich II. Zuletzt hat er die Spuren der frühen Christen in Syrien nachgezeichnet.

Nun wendet er sich einem literarischen Thema zu, was ungleich mühsamer zu illustrieren ist. Mit enormem Aufwand wurden Buchillustrationen animiert oder holografisch projiziert. In Hörstationen kann man den dazugehörigen Texten lauschen. Doch auch dies reicht noch nicht, um die Ausstellungsfläche zu füllen. So wurde das Thema auf Schriftkultur in West und Ost erweitert, eigens Gutenbergs Druckerpresse nachgebaut und den Werkzeugen orientalischer Kalligraphen gegenübergestellt. Die pflegten ihr Handwerk noch, bis Napoleon in Ägypten den Buchdruck einführte.

Napoleon zum Trotz - aus der arabischen Welt, sagt Fansa, sei oft der Vorwurf zu hören: "Die Europäer haben nur von unseren Errungenschaften genommen, aber nichts zurückgegeben." So ganz weist die Ausstellung den Vorwurf auch nicht von der Hand. Kalila und Dimna gelangten im Mittelalter durch die hebräische Übersetzung eines italienischen Rabbis nach Europa. Fabel-Bestsellerautor Jean de la Fontaine übernahm im 17. Jahrhundert etliche Texte in seine Sammlung. Einen vergleichbaren Kulturtransfer in die Gegenrichtung gab es offenbar nicht. "In der Kolonialzeit haben die Europäer ihre ökonomischen und administrativen Strukturen auf den Orient übertragen", sagt Fansa. "Aber sie haben es versäumt, die Aufklärung mitzubringen."

Die Schau zeigt aber auch, wie müßig es eigentlich ist, Literatur als nationales Eigentum zu reklamieren. Denn auch Kalila und Dimna wurden nicht im vorderen Orient erfunden, sondern gehen auf einen altindischen Fürstenspiegel zurück. Auf launige Weise sollten sie angehenden Herrschern Führungsqualitäten nahe bringen - was vor allem hieß, mit der Schwäche der menschlichen Natur zu rechnen. Aus den mesopotamischen Ursprüngen, vermutet Eckhard Grunewald, speisten sich zwei Traditionsstränge: ein östlicher und ein westlicher, der dem legendären griechischen Sklaven Äsop als Quelle diente. Diesen Äsop, der so bucklig gewesen sein soll wie Homer blind, zeigt im Landesmuseum eine Büste, bei der die Genitalien unter dem Brustkorb festgewachsen scheinen. Offenbar glaubte man in der Antike, dass man körperlich schon stark eingeschränkt sein müsse, um seine Energien ausgerechnet aufs Geschichtenerzählen zu verwenden.

In ihrer Moral, da sind sich der Germanist und der Orient-Experte einig, unterscheiden sich westliche und orientalische Fabeln nicht. Austauschbar ist auch das Personal. Da das Landesmuseum ursprünglich ein naturkundliches Museum ist, sind die Protagonisten hier ausgestopft in Lebensgröße zu sehen. Die Rolle des schlauen Fuchses übernimmt im Orient der Schakal. An die Stelle des törichten Esels tritt das Kamel. Dabei, kritisiert der Biologe Carsten Ritzau, sind diese nützlichen Tiere mit dem schlechten Image nur das, was der Mensch durch seine Züchtung aus ihnen gemacht hat. Der Fuchs ist aus Sicht des Biologen keineswegs schlau, sondern ein großer Opportunist, der aus jedem Lebensraum das Beste für sich herausholt.

Bis zum 1. Juni im Landesmuseum Oldenburg, Damm 38-44 www.fabeln.naturundmensch.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!