■ Press-Schlag: Frostbeulen
Warmblüter haben im nordischen Lillehammer nichts verloren. An den Bankschaltern, vor den Restaurants, an den Wettkampfstätten: überall sich warmstampfende Menschenschlangen. „Kindchen, untenrum mußt Du immer schön warm bleiben“, hat seinerzeit schon die Oma warmherzig empfohlen. Und deshalb findet die „Situnterlag“, das Gummipolster für den Hintern für 30 Kronen (acht Mark) reißenden Absatz. Wer trägt auch schon gerne Frostbeulen am Allerwertesten?
In Lillehammer ist die Eiszeit ausgebrochen. Bis zu minus 30 Grad in der Nacht – den Veranstaltern gefriert das Blut in den Adern. Die Langlaufwettbewerbe werden vom Kälteeinbruch am stärksten gefährdet. Aber irgendwie finden sie trotzdem statt. „Die haben bestimmt solange ein Thermometer angehaucht, bis die zulässige Temperatur doch erreicht war“, frotzelt Johann Mühlegg, dem der 30-km-Lauf zum Blindflug geriet, weil ihm gemeinerweise die Augen zusammenfroren: „Das ist mir noch nie passiert.“
Markus Wasmeier kam beim Abfahrtslauf nicht nur mit einer unrespektablen Zeit, sondern auch mit Frostspuren im Gesicht bestraft ins Ziel. Der Nordpol ist südlich marschiert.
Jochen Behle, der mit Plusgraden nach eigenem Bekunden nichts anzufangen vermag, weiß als erfahrener Olympionike bei seinen fünften Spielen Rat: Vaseline ins Gesicht, Nase und Backen mit Klebeband „tapen“, ebenso die Fingerspitzen, die an kalte Ski und Stöcke fassen müssen. Ein mögliches Wärmeschutzmittel: vor dem Rennen die Socken wechseln. Was allerdings nicht verhindern kann, daß Temperaturen aus der Gefriertruhe zum Gradmesser der Leistung werden.
Sportlerinnen und Sportler aus warmen Gefilden tun sich verständlicherweise schwerer mit der Arktis in Lillehammer. „Die Italiener können die Kälte nicht ab“, hat Behle beobachtet. „Hoppla, hab' ich gedacht“, erzählt der inzwischen wieder aufgetaute Mühlegg, „die gehen ja mit einer Vliesweste unter der Startnummer an den Start.“ Leichtgewichte haben, wenn sie das Wetter derart kühl behandelt, Probleme, „die Wärme im Körper zu halten“, weiß der halbwegs kälteresistente 80-Kilo- Mann. Warm ums Herz dürfte es den Langläufern – zumindest auf der Loipe – nicht werden: 200 Liter eiseskalte Luft müssen ihre Lungen pro Minute umwälzen.
Schuld an der Eiszeit ist bezeichnenderweise ein Hoch über Schweden, jenem Nachbarland, zu dem die sonst so gastfreundlichen Norweger grundsätzlich etwas frostige Beziehungen pflegen. Erkältend kommt hinzu: das Hoch hat eine „große Ausstrahlungskraft“. Wogegen einzig die zahlreichen Verkäufer von Norwegerpullis, handgestrickten Strümpfen, Fellhandschuhen, Ohrenwärmern und langen Angora-Unterhosen nichts haben dürften. -coh-
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