■ Das Portrait: „Fritzchen“
Auto, Blumentopf, Kunst Foto: Rolf Zöllner
„Der Typ Trabant ist in seiner Klasse ein schnittiges, elegantes und temperamentvolles Fahrzeug“, heißt es in der Betriebsanleitung von 1977. Und das war Fritzchen auch. Aus der 0,6-Liter-Maschine kamen 26 PS und viel Gestank. In Berlin-Mitte ging Fritzchen 1991 in Rente.
Wo früher der Motor war, wuchsen Sonnenblumen, Fuchsien und andere Pflanzen. Im Innenraum gediehen Ringelblumen und sogar kleine Kastanienbäume.
Früher war Fritzchen ein ganz normaler Trabi. Erst im Rentenalter wurde er richtig berühmt und in fast allen Zeitungen abgebildet. Und er ziert wohl unzählbare Privatarchive von Touristen. „Hätten wir von jedem Fotografen nur eine Mark kassiert, wir hätten sicher unsere Häuser luxussanieren können“, sagen sich jetzt die Ex-Besetzer und Bepflanzer aus der Berliner Tucholskystraße.
Die Krönung der Popularität erreichte das fotogene Pappauto aber erst nach seinem Tod. Was war passiert? „Fritzchen“ gammelte auf dem Bürgersteig vor sich hin, als der lokale Kontaktbereichsbeamte (Kob) Egon- Joachim Kellotat die Frontscheibe von Fritzchen mit diesem häßlich fluoreszierenden „roten Punkt“ versah. „Jedes Auto auf öffentlichen Straßen muß angemeldet sein“, sprach der Ordnungshüter. Die Bewohner konterten: „Das ist ein Blumenkübel.“ Der damalige Kulturstadtrat Uwe Dähn (Bündnis 90) ging noch einen Schritt weiter, „ein Kunstwerk“.
Kob Kellotats Definition wurde für die richtigste gehalten. Aber der Mitarbeiter der Abschleppfirma weigerte sich zuerst, das Auto/Blumenkasten/Kunstwerk auf seinen Lkw zu laden. „Ich soll ein Auto abholen, keinen Blumenkasten“ – 1:1 für die Besetzer. Später fand Fritzchen auf einem Autofriedhof doch seine letzte Ruhe.
Nach seinem Verschwinden tauchte er wieder auf. Und zwar zuerst auf der Titelseite der SPD-Brosche Umwelt in Berlin – Politische Ziele. Darin gab es tolle Tips wie „gezielt nach Mehrwegverpackungen fragen“ und „... sollte man auf das Autofahren verzichten“. Na, bitte! Ein Jahr später erschien ein ganzseitiges Abbild von Fritzchen im Journal für Deutschland – ein Magazin, in dem sich die Bundesregierung selbst feiert.
Wie durch ein Wunder steht jetzt wieder ein Fritzchen in der Tucholskystraße. Wieder sprießen die Pflanzen aus dem ehemaligen Öko- Feind. Und wieder fotografieren Touristen – Gruppenbild mit Auto. Und wieder klebt der Kob Kellotat rote Punkte an die Frontscheibe. Sven Christian
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