: Frischer Wind im ORF
Der neue Senderchef Alexander Wrabetz sorgt für größere Unabhängigkeit in den Redaktionen – und ein zeitgemäßeres Programm, das auch heiße Eisen wie Migration und Integration nicht ausblendet
AUS WIEN RALF LEONHARD
Die Wahl des den Sozialdemokraten nahe stehenden Alexander Wrabetz an die Spitze des Österreichischen Rundfunks (ORF) gegen den eigentlich allmächtigen Einfluss der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) war schon eine mittlere Revolution. Gut hundert Tage ist der neue Generaldirektor im Amt – und legt jetzt auch programmlich nach: Mit der bisherigen Praxis, die Hauptnachrichtensendung „Zeit im Bild 1“ (ZIB 1) auf beiden TV-Kanälen des ORF durchzuschalten und damit quasi zwangszuverordnen, ist Schluss. Noch so eine kleine Sensation für Österreich.
Während auf ORF 2 um 19.30 Uhr wie gewohnt „ZIB 1“ läuft, unterhält ORF 1 die junge Generation laut dem neuen Programmschema mit der Austro-Sitcom „Mitten im 8en“, einer Telenovela aus Wiens 8. Bezirk. Sie soll vor allem jene ansprechen, die bislang vor den bierernsten Nachrichten zu den Privatsendern flüchteten. Für sie gibt es anschließend die neue „ZIB 20“, eine generationsgerechte Präsentation des Weltgeschehens in sieben Minuten für Menschen unter dreißig.
Technisch wird auf das auf Flachbildschirm zugeschnittene Format 16:9 umgerüstet, außerdem sollen weitere Angebote für das junge Publikum und neue Sendeformate das öffentlich-rechtliche Fernsehen attraktiver machen. Dafür müssen die Fans von Endlosgeschichten ab Juni auf „Reich und Schön“ verzichten. Nach nur elf Jahren wird die Soap mit Folge 3.141 aus dem Programm genommen – in den USA hat sie es nach 20 Jahren auf über 5.000 Episoden gebracht und läuft dort munter weiter.
Zu verdanken hat Wrabetz seinen Job einer einmaligen Koalition im ORF-Stiftungsrat, der in etwa dem Verwaltungsrat beim ZDF zu vergleichen ist. Das oberste ORF-Gremium hatte sich im vergangenen Sommer gegen die damalige Kanzlerpartei ÖVP verschworen, die trotz wachsenden Unmuts in den Redaktionen das als autoritär und ÖVP-hörig empfundene Führungsteam unter der damaligen ORF-Generaldirektorin Monika Lindner wieder wählen wollte. Wrabetz, kaufmännischer Direktor und trotz SPÖ-Nähe politisch offen, konnte praktisch alle politischen Kräfte außer der ÖVP auf seine Seite ziehen. Seither, heißt es, habe sich das Klima im ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg deutlich gebessert. Die Redaktionen genießen größere Unabhängigkeit, politischen Interventionen wird nicht mehr mit vorauseilendem Gehorsam begegnet.
Schon seit einigen Wochen erlaubt sich „Zeit im Bild“ regierungskritische Beiträge. Und donnerstags laufen – wenn auch im Nachtprogramm – politische Satirenummern, die es unter Lindner wohl kaum ins Programm geschafft hätten. Schon vor seiner Erstausstrahlung am 3. Mai umstritten ist beispielsweise das neue Format „Wir sind Kaiser“, in dem ein fiktiver Monarch Robert Heinrich I. zu Audienzen bittet.
Das beliebte, aber kreuzbiedere Vorabendmagazin „Willkommen Österreich“ verschwindet vom Bildschirm. An seiner Stelle soll „Heute in Österreich“ die Bundesländer lebendiger präsentieren – mit sechs Übertragungswagen will man binnen einer Stunde aktuell von jedem beliebigen Ort der Republik berichten können. Beim anschließenden Infotainment-Magazin „Wie bitte?“ finden sich unter vier Außenreportern zwei mit interkulturellem Hintergrund – eine Premiere im ORF, der solches bislang nur im Migrantenmagazin „Fremde Heimat“ duldete.
Auch der Geist des legendären „Club 2“, in den 1970er- und 1980er-Jahren Ort für oft sehr kritische und kontroverse Diskussionssendungen mit open end, wird wieder belebt: Mittwochs läuft ab 23 Uhr „Extrazimmer“, nun allerdings mit festem Sendeschluss. Dafür mit einem bunten ModeratorInnen-Team um den ehemaligen „Ostbahn-Kurti“ Willi Resetarits, den Kabarettisten Werner Schneyder und die Trivialistin Hera Lind.
Das „Weltjournal“, einziges außenpolitisches Magazin des ORF, muss allerdings Federn lassen und wird um 15 Minuten auf eine halbe Stunde gekürzt. Außenpolitische Themen sollen aber, so wird versprochen, zunehmend in anderen Magazinen platziert werden – wofür es bisher aber wenig Anzeichen gibt.
Erfolg hat Wrabetz’ Programmreform schon jetzt dank der neu eingeführten Schwerpunktwochen. Gleich im Januar lief ein Schwerpunkt über den Klimawandel, der der weltweiten Diskussion einige Tage zuvorkam und eine ungeahnte innenpolitische und öffentliche Debatte auslöste. Ein ähnlicher Coup gelang Mitte März zum Thema Ernährung. Im Gefolge der Schwerpunktwoche hat die Nachfrage nach Bioprodukten und fair gehandelten Lebensmitteln zugenommen. Im Herbst will Wrabetz mit dem Schwerpunkt Migration/Integration ein besonders heißes Eisen aufgreifen, das in der österreichischen Politik sonst eher vom Populismus dominiert wird.