■ Friedensreich Hundertwasser ist gestorben. Der Künstler hinterlässt den Streit darum, ob er provokative Kunst oder grauenhaften Kitsch geschaffen hat: Genie oder Scharlatan
Er starb mit 71 auf hoher See, unterwegs nach Österreich, verlautbaren seine Freunde. Begraben aber will Hundertwasser sein in Neuseeland, „im Garten der glücklichen Toten ökologisch begraben“. Was machte er in der neuseeländischen Selbstverbannung? Warum ist er nicht im Zentrum der Dinge geblieben?
Er hätte – als Künstler und als Naturschützer – ein Tausendwasser werden können. Ich habe seinen Brief herausgesucht, in dem steht: „Komm doch zu mir nach Neuseeland, lass alles stehen, hier ist es schön.“ Er war also glücklich dort. War er glücklich dort? Ich sehe ihn vor mir, Weihnacht 1984, bei der Besetzung der Hainburger Donau-Auen, als unbeirrter Verfechter der Natur und ihrer Schönheit. Wir stand auf einer Anhöhe, umgeben von jungen Naturschützern. In hellgrau uniformierten Haufen kam die Gendarmerie, mit erhobenen Knüppeln.
Als sie Hundertwasser erblickten, löste sich aus ihren Reihen ein Offizier, trat zum berühmten Künstler, beäugte anerkennend die zwei oder drei sehr hübschen Mädchen, die sich an ihn schmiegten, und sagte, stramm salutierend: „Gestatten, Herr Hundertwasser, das i Ihna verhaft’“.
In dem Film „Puck“ liest Hundertwasser, mit wehendem Bart zwischen hängenden Pflanzen, aus seinem Manifest: „Um glücklich zu sein, braucht der Mensch keinen äußeren Reichtum, sondern einen inneren Reichtum der Seele. (...) Der heutige Mensch ist das gefährlichste Ungeziefer, das je die Erde bevölkert hat. Der Mensch, besonders die so genannten Experten, haben die Kontrolle über die Energiehebel verloren. (...) Wir vergewaltigen unsere Erde, und wir zerstören den Humus, durch den wir leben. (...). Ist der Humus weg, ist auch der Mensch weg.“
Humus war ein Stichwort für Hundertwasser. Er war ein Spinner, alle schöpferischen Menschen spinnen. Er entwickelte zur Perfektion das Humusklo. Man setzt sich drauf, es stinkt nicht, sondern alles verwandelt sich rasch und segensreich in Humus.
Wie das geht, weiß ich nicht und will’s auch gar nicht wissen. Jedenfalls stand in seinem Atelier, hoch über den Dächern der Wiener Innenstadt auf dem „Graben“, sein Wunderklo, umgeben von Pflanzen, die beim Wunder mitwirkten.
In Sachen Ökologie war Hundertwasser ein Realo-Fundi. Er ließ kein Jota von seiner Liebe zur Natur, er wich keinen Millimeter in seinem Kampf gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf. Er gewann ihn gemeinsam mit den Österreichern, die gegen das Atomkraftwerk volksabstimmten (1978). Welteinmalig wurde ein fertig gebautes Atomkraftwerk nicht in Betrieb genommen.
Das war der Fundi Hundertwasser. Der Realo Hundertwasser ließ sich 1988 von seinem Freund, dem damaligen Bürgermeister Helmut Zilk, bereden und behübschte mit reichlich Hundertwasser-Schnörksel ein gräuliches Heizkraftwerk in der Spittelau, mitten in Wien, eine Müllverbrennungsanlage. Zugeben muss man: Die goldene Kugel, die am Schornstein des Kraftwerkes klebt, ist eine sonnenbeglänzte Augenweide, die für Vergessen sorgt.
Wo blieb der unbedingte Hundertwasser, der sich vor der Wiener Stadträtin Gertrude Fröhlich-Sandner nackt auszog (1968) zwecks Verlesung des Manifestes gegen die altmoderne Architektur? „Los von Loos“ hieß es und proklamierte die Hundertwasser-Architektur, die Zauber- und Talmi-Welt aus Spiralfarben, unrechten Winkeln, schiefen Böden, wilden Zwiebeltürmen.
Adolf Loos, der große Wiener Architekt, Meister der geraden Linie, Hasser des Ornaments, rotiert vergeblich im Ehrengrab (gestorben 1933). Der Hundertwasserismus ist längst der Fremdenverkehrs-Hit von Wien.
Hundertwassers Architektur und seine ebenso spektakuläre Malerei sind Reaktion. „Die falsche Kunst“ nennt er 1968 die Moderne. Sein 1959 gegründetes „Pintorarium“ – gemeinsam mit Ernst Fuchs und Arnulf Rainer – will er als „universelle Akademie aller kreativen Richtungen“.
Es ist ein Gegenstoß: wider die Herrschaft der dürren Vernunft, für die Rückkehr des Gefühls, folglich auch für eine Verständlichkeit von Kunst, für einen Populismus, der den reinen Geistern der Moderne hochverdächtig ist.
Hundertwasser propagierte und erreichte eine Rückkehr der verteufelten Romantik, nicht im historischen Sinn, aber im Sinn einer zeitlosen Kunst fürs Herz. Seine Naturverehrung hat religiöse Wurzeln und Wirkungen. Sein größter jüngster Erfolg war die Illustration der Bibel. Die „Hundertwasser-Bibel“ wurde zum Kultbuch.
1953 malt Hundertwasser seine erste Spirale. Seither umwandern Hundertwasser-Spiralen den Globus. Global ist sein Ruhm, aber auch geeignet zu Ironie. Was fehlte ihm zur letzten Größe?
Zehn Jahre vor seiner ersten Spirale werden 69 seiner Familienangehörigen (mütterlicherseits) deportiert und getötet. Trauer und Grauen, umgesetzt in Gefühlskunst – auch so lässt sich Hundertwassers Werk fassen. Optimismus ist da keiner drin.
Mein Andenken und meine Liebe zu Hundertwasser beruht gerade darauf, dass seine Kunst nicht zur Perfektion gedieh. In dieser Welt gibt es keine perfekte Schönheit. Die Nichtperfektion ist das Liebenswerte an der Kunst und am Künstler. Perfektion ist unmenschlich.
Ich liebe Hundertwasser, weil ich die Schönheit liebe. Man muss Widerstand leisten gegen die ständige Verhässlichung der Welt. Hundertwasser in seiner Verrücktheit, in seiner Farbenfreude, in seinem Horror vor dem Geraden und Normalen war ein Kampfgefährte, der mir bitter fehlt.
Günther Nenning
Manchmal hatte er auch gute Gedanken. „Ich will nicht vertrotteln“, schrieb Hundertwasser 1959 ans Ende seines „Pintorarium“-Manifests. Aber hat er sich auch daran gehalten? Der Grad zwischen nachdenklichem Genie und eitlem Wahnsinn war jedenfalls schmal bei einem, der von sich selbst als „Meister“ sprach.
Seine Abneigung gegen das funktionelle Bauen und überhaupt die Moderne sprach all denen aus dem Herzen, denen Häuser eben nicht nur Behausung sein sollten, sondern das schöne Abbild menschlicher Existenz. Deshalb braucht Hundertwasser selten Argumente, sondern kann sich auf die Wirkung markiger Parolen verlassen: „Je schmutziger die Architektur, desto stärker und wirksamer muss die Bekämpfung des Schmutzes sein“, steht in einer Rede, die er 1968 in Wien hielt.
Solche Sätze würde heute auch die FPÖ unterschreiben, selbst wenn sich der Künstler-Architekt, aus dessen jüdischer Familienlinie mütterlicherseits 69 Verwandte deportiert und in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten umgebracht wurden, in Unterschriftenaktionen immer gegen Haider ausgesprochen hat.
Hundertwassers Häuser sind kleine bunte Märchenburgen, in denen die Bewohner sich in die Träume ihrer Kindheit zurückversetzt fühlen sollen.
Er nennt es natur- und menschengerechtes Bauen, in Wirklichkeit sind seine Bauten kaum mehr als farbig übertünchte Kästen mit schiefen Wänden, deren Baumaterialien und Energiewerte von einer ökologisch aufmerksamen Architektur weit entfernt sind. Neue Belüftungstechniken sucht man vergebens, selbst die Sonne wird von den oft zu kleinen und teils dunkelfarbigen Fenstern gar nicht erst ins Haus gelassen. Und auch die Bäume, die der Künstler des fantastischen Realismus zur Verbesserung des Betriebsklimas auf das Dach einer Fabrik in Selb pflanzen ließ, sind bloße Fassadengestaltung.
Die Innenräume, die doch den Alltag am Arbeitsplatz in der Porzellanmanufaktur bestimmen, haben sich dadurch nicht gewandelt. Nur von der Straße her sieht das Gebäude des Herrn Philip Rosenthal jetzt wie eine Friedensarche Marke Hundertwasser aus. Das ist eine Architektur des Effekts, die wie barocker Kirchenplüsch über Konflikte hinwegtäuscht. Ein Vademekum aus Buntglas und viel Farbe.
Stets wirken Hundertwasser-Gebäude wie eine Hippieidylle und sind doch nichts weiter als künstlerischer Eigensinn, ohne soziale Vision.
Wo der amerikanische Forscher und Erfinder Buckminster Fuller mit seinen Wabenstrukturen funktionelle Bauweise und organische Formen verbinden konnte, gestaltet Hundertwasser nur Oberflächen. Zugleich kommt der Rückzug ins Regressive dem Schnickschnack entgegen, mit dem Investoren ihre kalt geplanten Dienstleistungscenter aufhübschen. So durfte Hundertwasser für die Darmstädter Bauverein AG eine „Waldspirale“ entwerfen, die lediglich zur Imagekorrektur und als Publikumsmagnet dient.
Wenn es dagegen um konkrete Interventionen geht, zerplatzen die Utopien wie Seifenblasen. Als vor fünf Jahren in Wittenberg ein Gymnasium neu gestaltet werden sollte, erhielt Hundertwasser den Zuschlag. Statt allerdings die Klassenzimmer großzügiger zu gestalten, verbrauchte der Künstlerarchitekt das Geld für Zierrat. Einen Fahrstuhl für Rollstuhl fahrende Kinder sucht man in Wittenberg immer noch vergebens, dafür gibt es jetzt vergoldete Kuppeln auf dem Dach.
Als Hundertwasser in den Fünfzigerjahren seine ersten Polemiken „gegen den Rationalismus in der Architektur“ verfasste, da hatte er noch die Vorstellung, dass mehr Kreativität zu mehr Selbstbestimmung führen könnte. Aus diesem guten Willen ist am Ende eine Kommerzmaschine geworden, die Postkarten und Bildbände ausspuckt, aber an den Realitäten nichts ändert.
Harald Fricke
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