piwik no script img

Friede sei mit dir, mein Freund

■ Die Geschichte der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen der französischen Jüdin Catherine und dem Exilpalästinenser Wajih, die sich in Berlin kennenlernten

Vielleicht wären die beiden auch anderswo Freunde geworden. Sie, die Jüdin aus Toulouse. Er, der in Damaskus geborene Palästinenser. Sie lebte vorher in Paris, London, Haifa und Tübingen. Er wohnte in Aden, Baku, Moskau und Mannheim. Zufällig kreuzten sich ihre Lebenswege in Berlin. Ungewöhnlich ist nicht der Ort ihres Treffens, sondern daß sie überhaupt Freunde wurden.

Ich traf Catherine im Frühsommer des vorigen Jahres bei einem Freund. Wir saßen auf der Veranda, schauten auf den Teltowkanal und begannen zu erzählen. Ihr Akzent ließ eindeutig die Französin erkennen, und ihre Kette sagte mir, daß sie Jüdin war. Wir waren uns symphatisch, und irgendwann im Verlaufe dieses Tages erzählte ich ihr, daß mein Freund, Wajih, Palästinenser ist. „Dein Freund ist Palästinenser?“ Ich spürte ihre Zweifel. „Ich habe so viele unterschiedliche Erfahrungen mit Palästinensern gemacht, gute und schlechte.“ Und, als ob sie sich rechtfertigen müsse, sagte sie: „Israel ist meine Heimat, meine Hoffnung, meine Zuflucht.“

„Eine Jüdin, sei vorsichtig!“ so antwortete mir Wajih, als ich erzählte, daß ich eine sehr sympathische Französin, eine Jüdin kennengelernt hatte. Ich sah seine Angst.

Einige Wochen nach jenem Tag im Frühsommer 1995 heirateten mein Partner, der Palästinenser, und ich, die Deutsche. Catherine war inzwischen meine Freundin geworden und sie traf meinen Mann Wajih das erste Mal in Berlin. Die Jüdin aus Toulouse und der Palästinenser aus Damaskus beginnen einander kennenzulernen, doch sie beschließen zum Vermeiden von Problemen: „Wir reden über alles, aber nicht über Politik!“

Der Sommer 1995 war die Zeit eines beginnenden, jedoch noch ständig bedrohten Friedens zwischen Juden und Palästinensern, aber auch Zeit der Hoffnung und der Zuversicht. Oft trafen wir uns in den folgenden Wochen. Die Jüdin und der Palästinenser überwinden ihre Vorurteile, die keiner gegenüber dem anderen zugeben mag. Sie interessieren sich füreinander, reden miteinander, und sie halten sich immer daran: „Wir reden über alles, aber nicht über Politik!“ Zu groß ist die Angst, den anderen zu verletzen. Im November 1995 wurde Jitzhak Rabin ermordet. Ich bin geschockt. „Sie haben Rabin ermordet, das ist das Ende des Friedens! Sie haben meinen Landsmann, den in Palästina geborenen Juden ermordet!“ Wajih, kann die Nachricht des späten Abends nicht fassen. Am Montag telefoniere ich mit Catherine. „Ich habe das ganze Wochenende geweint,“ höre ich ihre gebrochene Stimme.

Am nächsten Tag treffen wir uns. Der Tod Rabins bricht das Tabu, nicht über Politik zu reden. Wajih und Catherine ahnen, was diese Katastrophe für den Frieden in Israel bedeutet. Ich höre von ihrer Angst um den Frieden – und zum ersten Mal erzählen sie einander, was sie fühlen, wenn sie an Palästina, an Israel denken. „Weißt du, ich habe keine Heimat!“ – so der 34jährige mit traurigen Worten. „Meine Eltern mußten Haifa 1948 verlassen. Sie wurden in Syrien aufgenommen. Dennoch, Staatsbürger wurden sie dort nie. Ich bin in Syrien geboren. Aber wie kann ein Land, dessen Staatsbürgerschaft ich nicht erhielt, meine Heimat sein? Ich bin staatenlos. In meinem Paßersatz, den ich inzwischen in Deutschland erhalten habe, steht ,Nationalität ungeklärt‘. Wo gehöre ich hin? Ich bin Palästinenser, aber das interessiert niemanden.“ Er ist den Tränen nahe. Die ein Jahr jüngere Catherine erwidert: „Ich bin Jüdin, Israel ist meine zweite Heimat, meine Großeltern sind Pogromen in Polen und Marokko entgangen. Israel, das ist Zuflucht, Hoffnung, Stolz. Nach der Shoah, dieser unsagbaren Katastrophe für die Juden, haben wir das erste Mal einen Platz, der uns zur Heimat wurde.“ Sie reden miteinander. Sie haben den Schritt getan, der so vieles im Verständnis zwischen Juden und Palästinensern erreichen könnte.

Inzwischen ist mehr als ein Jahr vergangen. Die beiden trafen sich oft. Wütend sind sie über die Politik Netanjahus. „Er verachtet uns, und ihn interessieren die Friedensverträge nicht. Israel schließt die Grenzen, die Universitäten, baut Siedlungen in den ,autonomen Gebieten‘. Was ist das für eine Autonomie?“ fragt Wajih.

„Ich habe Angst. Israel darf nicht den David gegenüber 20 arabischen Staaten spielen. Beim jetzigen Verhalten Israels dürfen wir keine Gnade erwarten. Ich bin gegen die jüdischen Siedlungen in den autonomen Gebieten. Das ist eine Provokation. Ich bin gegen Folter, selbst wenn diese angeblich der nationalen Sicherheit dienen soll. Das ist unglaublich! Der Talmud sagt: ,Wenn du einen Menschens tötest, dann tötest du ein ganzes Volk.‘ Was sind das für Menschen, sind sie religiös? Man muß nicht einmal religiös sein, man nuß nur Humanist sein, einfach ein Mensch“, erwidert Catherine. Ich bewundere sie für diese Haltung, und auch Wajih stimmt mir zu. Zum ersten Mal erzählt sie, daß sie in Israel in der „schalom aschaf“, der Peace-now- Bewegung, engagiert war. Sie vertritt den Standpunkt, daß Palästinenser, die nicht nach Israel oder die autonomen Gebiete zurückkehren können, angemessen entschädigt werden sollen. Dies sagt sie, weil sie Israel liebt.

Wie würde man wohl in Israel auf deine Freundschaft zu einem Palästinenser reagieren, frage ich sie. Sie zögert und dann: „Es wird auf Ablehnung stoßen, in Israel und mehr noch hier.“ Die gleiche Frage stelle ich Ralf Melzer, einem Journalisten, der in Berlin für die jüdische Jugendorganisation BBYO arbeitet. „Es ist sehr sehr ungewöhnlich, daß Juden und Palästinenser freundschaftliche Kontakte zueinander haben. Das versuchen wir zu mit einem Projekt zu ändern, das sich um den Kontakt zwischen Juden und Palästinensern bemüht. Solche Freundschaften sind aber noch immer Ausnahmen,“ stellt er fest. Und Omar Ghannam, ein ebenfalls in Berlin lebender palästinensischer Journalist, antwortet mir: „Es ist schwer in Juden etwas anderes zu sehen als einen Feind. Aber, wir müssen lernen miteinander zu leben, eine andere Alternative gibt es nicht!“ Ist die Freundschaft zwischen Catherine und Wajih wirklich so ungewöhnlich? Die beiden meinen nein. „Wir haben gelernt, die Meinung des andern zu akzeptieren. So sind wir zu Freunden geworden – und das ist doch ganz normal, oder?“ Wajih nickt zustimmend als Catherine Amos Oz (einen der bedeutendsten Schriftsteller Israels) zitiert. „Mit Feinden schließt man Frieden, man muß sich nicht mögen. Man muß in Frieden miteinander leben, und erst lernen, sich zu mögen!“

An einem Dezemberabend 1996 stehen meine Freundin und mein Mann schweigend am Fenster. Niemand weiß, wohin sie ihr Lebensweg führen wird. Aber jeder von ihnen weiß, daß er einen Freund gefunden hat. Das ist doch ganz normal. Vielleicht träumen sie von Palästina oder Israel. Vielleicht denken sie darüber nach, wie es wäre, gemeinsam nach Israel und ein künftiges Palästina zu fahren, dort zu leben – miteinander, nicht nebeneinander! Dorit Pelikan, Abu El Heija

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen