: Friede in El Salvador verschoben
Die Frist für die Demobilisierung der Guerilla und Erfüllung des Waffenstillstandsabkommens läuft erst am 12.Dezember aus/ Verzug bei Landverteilung und Reformen ■ Aus San Salvador Ralf Leonhard
Unter Sonnenschirmen mit dem Marlboro-Markenzeichen haben sich Offiziere in hellblauen Uniformen an kleinen Klapptischen niedergelassen. Die Blauhelme der ONUSAL, der UNO-Mission für El Salvador, händigen den Guerillakämpfern, die gerade ihre Waffen abgegeben haben, ein Personaldokument mit Lichtbild aus und übergeben ihnen einen Coupon, der zum Bezug von Hausrat berechtigt: Bettzeug, ein Gaskocher, Töpfe, Pfannen, Geschirr und Besteck. Für 1.800 Guerilleros und Guerilleras begann in dieser Woche das zivile Leben.
40 Prozent der ursprünglich über 7.000 Kämpfer bleiben vorerst noch bewaffnet. Denn die FMLN will ihre letzte Karte nicht ausspielen, solange die Regierung ihren Teil des Paktes nicht einhält. Die vollständige Erfüllung des am 16. Januar in Mexiko unterzeichneten Abkommens, das 11 Jahre Bürgerkrieg beendete, war die zentrale Forderung einer rund 20.000köpfigen Demonstration, die am letzten Samstag in San Salvador stattfand. Die größte Massenveranstaltung der FMLN seit Beginn des Waffenstillstandes vor neun Monaten sollte der skeptischen Basis beweisen, daß ihre politischen Führer sich nicht über den Tisch ziehen lassen. In einer ungewöhnlich scharfen Ansprache warf Comandante Shafik Handal Staatspräsident Christiani vor, sich zum Wortführer einer radikalen Minderheit gemacht zu haben, die sich dem Friedens- und Versöhnungsprozeß widersetzt.
Druck von Rechts
Christiani hatte zwar letzten Mittwoch den Vorschlag der UN, die Frist für die Demobilisierung der FMLN und die Umsetzung weiterer Punkte des Abkommens bis 15.Dezember zu verlängern, angenommen. Doch setzte er gleichzeitig die Reduzierung und Säuberung der Armee aus, „bis sämtliche im Besitz der FMLN befindlichen Waffen vernichtet sind“. Für die Armee und die konservativsten Gruppen in und um die Regierungspartei ARENA galt der im Friedensvertrag vorgesehene Stichtag 31.Oktober als unverrückbarer Schlußpunkt für die Existenz der FMLN als bewaffnete Organisation. Sie hatten Christiani stark unter Druck gesetzt. Die Agitation rechtsextremer Gruppen und die politische Polarisierung haben sich in den letzten Tagen so zugespitzt, daß Gerüchte über einen Putsch große Glaubwürdigkeit erhielten. Die FMLN zog ihre Kader in die Sammelpunkte im Landesinneren ab, nachdem die paramilitärische „Brigade Maximiliano Hernandez Martinez“ alle Comandantes mit dem Tode bedroht hatte. In einem am 22. Oktober veröffentlichten Kommuniqué fordert die Todesschwadron außerdem den sofortigen Abzug der UNO-Beobachter und der „Seuche der Auslandsjournalisten, die unser Land heimsucht“.
Für Ruben Zamora, den Chef der Mitte-Links-Koalition Convergencia Democratica, bedeutet die Erklärung Christianis einen schweren Rückschritt im Friedensprozeß: „denn 85 Prozent des Waffenstillstandsabkommens betreffen die Entmilitarisierung“. „Die Regierung wollte durch den Friedensvertrag erreichen, was ihr auf dem Schlachtfeld nicht gelang – die Auflösung der FMLN. Jetzt versucht sie, ihre Verpflichtungen neu zu verhandeln“, meint Gerardo Le Chevalier, einer der Wortführer der Christdemokratischen Partei.
Die Soldaten des Bataillons Ramon Belloso wurden nach der Auflösung ihrer Einheit in Polizeiuniformen gesteckt und patrouillieren jetzt in der Ostprovinz San Miguel, einer Hochburg der Guerilla. Der Geheimdienst, der jahrelang alle politisch Verdächtigen bespitzelt hat, wurde nicht aufgelöst, sondern der Armee eingegliedert, und die Strukturen der Zivilverteidigung bestehen immer noch, wo ARENA-Leute das Sagen haben.
Säuberung der Armee
Jetzt versucht sich Christiani auch noch um die Säuberung der Armee zu drücken, indem er den Bericht der sogenannten Ad-hoc-Kommission zur Verschlußsache erklärt. Das bisher vertrauliche Dokument empfiehlt die Säuberung der Armee von Offizieren, die das Kriegsrecht und die Menschenrechte grob verletzt haben. Wie längst durchgesickert ist, sollen sieben von acht Generälen sowie über 90 Obristen und Oberstleutnants auf der Abschußliste stehen. Christiani will diese Säuberung, die nach dem neuen Zeitplan für 15.Dezember programmiert ist, über mehrere Monate hinziehen und als Serie routinemäßiger Pensionierungen und Versetzungen tarnen, damit das Ehrgefühl der hohen Offiziere nicht verletzt wird.
Angesichts der Turbulenzen um den neuen Zeitplan hielt es der UNO-Generalsekretär für nötig, am Wochenende seine Sonderbeauftragten Marrack Goulding und Alvaro de Soto nach San Salvador zu schicken. Von Christiani wollen sie verbindliche Zusagen, daß der neue Zeitplan, der unter anderem die Auflösung des berüchtigten „Atlanctl“-Bataillons am 8.Dezember vorsieht, auch von der Regierung eingehalten wird. Und von der FMLN wollen sie ein neues Waffenarsenal. Denn Butros Ghali wirft den Rebellen in einem Schreiben vor, nicht alles Kriegsgerät deklariert zu haben.
Die Comandantes streiten jedoch entschieden ab, daß die in den letzten Wochen entdeckten geheimen Arsenale einer geplanten Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes dienen. „Unsere Waffen sind die Waffen des Friedens“, erklärte Comandante Joaquin Villalobos. Beweis des guten Willens der FMLN sei die plangemäße Entwaffnung der dritten 20 Prozent der Truppen. Und das, obwohl die versprochene Landverteilung noch nicht begonnen hat. An der Weigerung der Regierung, die Landfrage zu lösen, wäre der Friedensprozeß schon einmal beinahe gescheitert. Die UNO sprang aber mit einem Plan ein, der die Finanzierung von Landkäufen für ehemalige Guerilleros, entlassene Soldaten und landlose Bauern sichert.
Auch die Reform des Wahlrechts und des Justizsystems ist im Verzug. Gerard Le Chevalier macht die regierende ARENA und deren Satellitenparteien dafür verantwortlich, daß die im Friedensvertrag vorgesehenen Gesetze und Reformpakete noch nicht im Parlamentsplenum gelandet sind. Um die anstehenden zwölf Gesetzesvorhaben bis 15.Dezember über die Bühne zu bekommen, schlugen jetzt die in der Nationalversammlung vertretenen Linksparteien das Einschieben von Sondersitzungen ab Mitte November vor. Daß die Rechte ihre Obstruktionspolitik jetzt aufgibt, wird von den oppositionellen Parlamentariern bezweifelt, denn wenn die FMLN einmal komplett entwaffnet ist, gibt es kein wirksames Druckmittel mehr.
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