: Freundschaft zwischen den Menschen
■ Schrecklich, lustig: Die Weltrevolution in Belgrad
Zuerst die schlechte Nachricht: Hat man einmal ein gewisses Lebensalter erreicht und eine bestimmte Anzahl von Büchern gelesen, merkt man, daß nur eine endliche Anzahl literarischer Gattungen existiert. Und so sehr die Autoren sich auch mühen mögen – am Ende wird ihr Werk ganz kaltschnäuzig in eine der vorhandenen Schubladen abgelegt.
Nun aber die gute: Wenn man es vermieden hat, sich bei der Lektüre der falschen Bücher zu sehr zu verheizen, dann macht einem das nichts aus, im Gegenteil. Offenbar sind innerhalb des endlichen Repertoires jederzeit und bis ins Unendliche Überraschungen möglich. Der sehr dünne Roman von Bora Ćosić „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution“ ist – was wohl – ein Familienroman, erzählt aus der streng durchgehaltenen Perspektive des einzigen Kindes dieser Familie, einem dementsprechend altklugen Geschöpf, das aber doch nicht ansteht, uns die Überraschungen, die auch ihm das Leben bietet, mitzuteilen, lakonisch und drollig.
„Schließlich sagt sie [die Mutter]: ,Bring die Dinger für Frau Darasova mit, sie möchte sie ihrem Freund zum Geburtstag schenken!‘ Papa fragte: ,Aber wo soll ich jetzt Pariser herkriegen?‘ Ich sägte gerade mit der Laubsäge einen Indianer aus, Mama flüsterte Papa ins Ohr: ,Doch nicht vor dem Kind!‘ Voja Blosa klärte mich auf: ,Das zieht man über, und dann kriegt man kein Kind!‘ Ich sagte: ,Sicher gibt es noch mehr Erfindungen, von denen wir keine Ahnung haben!‘ Voja Blosa antwortete: ,Glaube ich nicht!‘“
An und für sich ein alter, gut abgehangener Trick aus der Erzählerkiste: Weltgeschichte aus der Froschperspektive, das Kleine groß und das Große, das man heutzutage sowieso nur unter Anführungszeichen so nennen kann, denn klein gesehen. Das Große im gegenständlichen Fall: „Wir lebten in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, etwas davor und etwas danach. Wir waren immer unter den ersten bei allen möglichen Einsätzen wie Schneeschaufeln, Alphabetisierung oder Förderung der Freundschaft zwischen den Menschen.“ Das Kleine: „Mama brachte ein Huhn mit nach Hause, das ein großes Spektakel veranstaltete und in der ganzen Wohnung Federn ließ. Eine Zeitlang zerrte ich das Huhn an einer Kordel hinter mir her, dann packte Mama es an den Flügeln und schnitt ihm über der Klosettschüssel den Kopf ab. Mama zog die Spülung, das kopflose Huhn schüttelte sich in einer Ecke und bespritzte Mamas Pantoffeln mit Blut. Das war schrecklich und auch lustig.“ So wie das Leben im ganzen und besonders ein um die Jahrhundertmitte in Belgrad gelebtes. Der Roman von Ćosić ist nur etwa ein Siebtel oder Achtel so lang wie Hugo Claus' „Kummer von Flandern“, mit dem er mancherlei Berührungspunkte hat. Das hat den Nachteil, daß man ihn in Nullkommanichts ausgelesen hat, aber auch zwei Vorteile: Man kann sich bald wieder den ernsten Aufgaben und wirklichen Anliegen, wie der Sicherung des Weltfriedens, zuwenden. Zweitens: Man freut sich schon gleich auf den nächsten Ćosić, den Rowohlt Berlin hoffentlich bald nachschiebt, weil gewiß große Mengen Begeisterungsfähiger dieses Buch kaufen werden.
Übrigens: Die Seite 115 endet so: „Mama klagte: ,Wie lange soll das so weitergehen!‘ Niemand wußte“ Auf Seite 116 fängt ein neuer Satz an. Ich hätte aber auch von diesem Satz zu gerne gewußt, wie er ausgeht. Das weiß man bei Ćosić nämlich nie wirklich im vorhinein. Walter Klier
Bora Ćosić: „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution.“ Aus dem Serbischen von Mirjana und Klaus Wittmann. Rowohlt Berlin, 128 Seiten, geb., 26 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen