Fremdsprachen im Schulunterricht: Türkisch für Fortgeschrittene

Als reguläres Unterrichtsfach wird Türkisch bereits in mehreren Bundesländern angeboten. Der Verein der türkischen Lehrer hofft auf einen Prestigegewinn.

Das Clauberg-Gymnasium in Duisburg ist, was Türkisch-Unterricht angeht, ein Vorreiter. Bild: dpa

Lange musste er nicht überlegen, welches Wahlpflichtfach er sich ab der 6. Klasse aussucht. Viele seiner Klassenkameraden entschieden sich für Französisch, doch Mert wollte lieber noch besser Türkisch lernen. Aus mehreren Gründen. „Die Note im Wahlpflichtfach ist wichtig fürs Abitur“, sagt der Achtklässler, der eine Gesamtschule in Gelsenkirchen besucht.

Mit Türkisch deckt er schon eine Fremdsprache ab. Und da er zu Hause mit seinen Eltern nur Türkisch redet, fällt ihm das Lernen leicht. Das Ergebnis: Eine 1+ im Zeugnis. Bei der Zulassung zur Oberstufe ist das ein Bonus.

Mert will später Pilot werden. Auch da erhofft er sich Vorteile. Sein Bruder habe sich kürzlich als Flugbegleiter beworben, berichtet Mert. Die Airline fliege viel in die Türkei. Da sei es beim Einstellungstest ein Pluspunkt gewesen, dass sein Bruder Türkisch spreche.

Außerdem ist Mert stolz darauf, dass er sich mit seinen Verwandten in der Türkei so gut unterhalten kann. Seine Cousins lobten ihn immer. „In der Schule habe ich viel gelernt“, sagt der 13-Jährige. „Sehr viel Grammatik und viele neue Vokabeln, die ich von meiner Mutter noch nicht gehört hatte.“

In NRW gibt es das Fach sogar im Abitur

Mert hat Glück, dass er in Nordrhein-Westfalen auf die Schule geht. Im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern gibt es hier Türkisch schon lange als vollwertiges Unterrichtsfach mit ausgefeilten Lehrplänen und staatlich examinierten Lehrkräften.

Türkisch kann in Nordrhein-Westfalen sogar als Abiturfach belegt werden. Mit wachsender Nachfrage. Im vergangenen Schuljahr belegten 8.560 Schüler an weiterführenden Schulen Türkisch als Fremdsprache, berichtet eine Sprecherin des Schulministeriums. Das sind über 50 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.

Mit dem Angebot soll das Potenzial von Schülern mit Migrationshintergrund gezielt gefördert werden. „Es geht darum, die natürliche Mehrsprachigkeit wertzuschätzen und damit die interkulturelle Kompetenz zu fördern“, sagt die Sprecherin. Außerdem hätten Studien gezeigt, dass es sich allgemein positiv auf die Sprachentwicklung auswirke, wenn Kinder ihre Muttersprache gut beherrschen.

Bundesweit gewinnt Türkisch im Unterricht gerade an Bedeutung. In Hessen fordern Eltern und Politikern eine Aufwertung des Wahlunterrichts. Und in Baden-Württemberg wird ein Schulversuch vorbereitet: Ab dem Schuljahr 2015/2016 soll Türkisch als Fremdsprache zunächst an zwei Gymnasien angeboten werden.

Auch für Schüler ohne Migrationshintergrund

Derzeit wird ein Bildungsplan erarbeitet. Fest steht: Das Angebot soll sich an alle Schüler richten – unabhängig davon, ob sie Türkisch als Muttersprache sprechen oder nicht. Es wäre „natürlich toll“, wenn das Fach auch von Schülern ohne Migrationshintergrund belegt würde, sagt eine Sprecherin des Stuttgarter Kultusministeriums. Bei dem Schulversuch soll geprüft werden, wie groß die Nachfrage ist und ob das Angebot auch in der Fläche umsetzbar wäre.

Die Leiterin des Elisabeth-Gymnasiums in Mannheim, Manuela Weiss, hat nicht lange gezögert und ihre Schule sofort für den Modellversuch vorgeschlagen. „Wir sind eine echte Multikulti-Schule“, sagt Weiss. Mehr als 80 Prozent der Schüler hätten einen Migrationshintergrund. Die Mehrheit von ihnen wächst zweisprachig auf, spricht mit ihren Eltern Türkisch oder Arabisch.

„Viele sind in beiden Kulturen zu Hause, stoßen bei der Sprache aber an Grenzen“, berichtet die Schulleiterin. Sie wüchsen in „doppelter Halbsprachigkeit“ auf. Bislang habe die Schule für diese Schüler lediglich ein Deutschförderprogramm angeboten.

Die Schulleiterin empfindet es als „spannendes Projekt“, die neue Fremdsprache anzubieten. Türkisch sei in Mannheim sehr präsent, sagt Weiss. Deshalb könne sie sich gut vorstellen, dass auch Jugendliche ohne Migrationshintergrund Interesse an dem Unterricht hätten. Bis zur regulären Einführung im übernächsten Jahr bietet das Gymnasium ab diesem Schuljahr versuchsweise schon mal zwei Arbeitsgemeinschaften an: Türkisch für Anfänger und für Fortgeschrittene. Die Nachfrage sei groß, sagt die Leiterin.

In vielen Ländern oft erst nach Unterrichtsschluss

In Bremen, Berlin und Hamburg wird Türkisch als Fremdsprache bereits an mehreren Schulen unterrichtet. Doch in vielen Bundesländern wird die Sprache – wenn überhaupt – lediglich im Rahmen des muttersprachlichen Unterrichts und oft an Grundschulen angeboten. Heißt: Die Stunden finden meistens nachmittags statt, die Teilnahme am Unterricht ist freiwillig und die Noten spielen für die Versetzung keine Rolle.

Die Förderation türkischer Lehrervereine kritisiert zudem, dass viele der Lehrer für den muttersprachlichen Unterricht vom türkischen Konsulat aus dem Heimatland entsandt werden. „Diese Lehrkräfte sind nicht neutral“, sagt der Vorsitzende der Föderation, Yücel Tuna. Sie kämen mit anderen Werten und Ideen hierher, könnten häufig kaum Deutsch, gingen nur in die Moschee und hätten keinerlei Kontakt zu hiesigen Lehrkräften.

„Der Türkischunterricht gehört unter staatliche Kontrolle“, fordert Tuna. Dafür brauche es auch mehr Lehrkräfte. Deshalb müssten die Anstrengungen verstärkt werden, Türkischlehrer an deutschen Universitäten auszubilden und neue Studienangebote zu schaffen.

Der Verbandsvorsitzende ist optimistisch, dass langsam ein Umdenken stattfindet. Immerhin sei es inzwischen auch auf dem Arbeitsmarkt vielfach von Vorteil, wenn die Mitarbeiter Türkisch sprechen können. Die größte Hürde bei der Einführung des Sprachunterrichts ist seiner Meinung nach: „Es kostet Geld.“ Um Türkisch überall als ordentliches Unterrichtsfach einzurichten, müssten Unterrichtspläne erarbeitet und Lehrkräfte ausgebildet werden.

In Deutschland leben drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Sie stellen auch die größte Gruppe unter den Schülern mit Migrationshintergrund. „Trotzdem müssen wir immer kämpfen“, sagt Tuna. Türkisch habe offenbar ein Imageproblem. Er ist überzeugt: „Wenn Türkisch als Fremdsprache eingeführt wird, verbessert sich auch das Prestige.“

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