Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt: Polnische Pflegerin für Minijob gesucht
Ab dem 1. Mai 2011 geht's in Europa los mit der Freizügigkeit. Privathaushalte können dann Pflegekräfte aus ganz Europa legal beschäftigen.
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BERLIN taz | Alina F. ist eine von hunderten Frauen aus Polen, die in Berliner Haushalten putzen und auch mal auf die Kinder aufpassen, gegen "Schwarzlohn". Ab Mai nächsten Jahres könnte sich Frau F. bei ihren Arbeitgebern als Minijobberin legal anstellen lassen und wäre dann unfallversichert. "Ich denke drüber nach", sagt die 45-Jährige zögerlich. Die Freizügigkeit im nächsten Jahr eröffnet Möglichkeiten auch für Privathaushalte.
Vom 1. Mai 2011 an können Arbeitnehmer aus acht osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, darunter Polen und Tschechien, überall in Deutschland legal beschäftigt werden. Nach Berechnungen der Experten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kann man je nach Szenario mit einer Zuwanderung zwischen 50.000 und 134.000 Menschen pro Jahr rechnen. Die Arbeitslosenquote könnte durch die neue Konkurrenz um 0,07 bis 0,2 Prozentpunkte steigen, die Löhne könnten um 0,15 bis 0,4 Prozentpunkte sinken, schätzen die Forscher.
Ein Riesenansturm sieht anders aus. Wer nach Deutschland kommen wollte und Deutschkenntnisse hat, ist meist schon hier. Ingenieure und qualifizierte Pflegekräfte etwa konnten bisher schon legal beschäftigt werden. Im institutionalisierten Pflegebereich rechne man ab Mai daher nur mit einem Zuwachs "maximal im unteren dreistelligen Bereich" und vor allem in den grenznahen Regionen, erklärt Bernd Tews, Geschäftsführer des Pflegeverbandes bpa.
Infolge der Freizügigkeit können Privathaushalte Betreuerinnen direkt anstellen. Bisher arbeiteten die Pflegerinnen oft schwarz oder wurden von polnischen Unternehmen entsandt. Allerdings greift bei ihnen der "Pflegemindestlohn" nicht. Und es bleibt die Frage: Wie finden Angehörige eine Betreuerin? Renate Föry, Geschäftsführerin von Seniocare24, vermittelt gegen Honorar Arbeitskräfte, die von polnischen Pflegeunternehmen an deutsche Haushalte im Rahmen der EU-Dienstleistungsfreiheit für etwa 1.400 Euro Monatshonorar "entsandt" werden.
Sie glaubt nicht, dass sich ihr Geschäft völlig verändert. "Wir können ohne lange Wartezeit eine lückenlose Betreuung garantieren, für Ersatz sorgen, das ist der Service, den wir bieten", sagt Föry, die Unternehmen mit vielen hundert Pflegekräften in ihrer Kartei hat. Allerdings könnte es sein, dass sie künftig auch direkt gegen Provision an Privathaushalte vermittelt, erklärt sie.
Noch mehr Altenbetreuerinnen in deutschen Haushalten bedeuten noch mehr "Euro-Waisen" zu Hause. "Man vermisst die Kinder", erzählt Alina F. Sie will weiter pendeln als Putzkraft und vielleicht doch lieber "schwarz": drei Tage in Berlin, die anderen Tage in Polen bei Mann und Tochter.
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