: Freiwillige Familienbande
■ Diese Woche startet Felix: Die Regisseure im Interview über Teamwork, Aids und Rassismus
Felix, ein junger französischer Araber, wohnt mit seinem Freund Daniel an der Atlantikküste. Als er plötzlich arbeitslos wird, begibt Felix sich auf Wanderschaft. Er fährt per Anhalter nach Marseille, um seinen Vater zu suchen. Auf seiner Reise durch Frankreich erhebt der bisher Vaterlose liebgewonnene Reisebekanntschaften spontan zu Familienmitgliedern. Den 17jährigen Jules, dessen Annäherungsversuche er freundlich abwehrt, nennt er seinen kleinen Bruder, mit einem Eisenbahner, seinem „Cousin“ hat er eine kurze Affäre, und die ihn beherbergende Mathilde erklärt er zu seiner Großmutter. Oliver Ducastel und Jacques Martineau ist mit Felix ein wunderschönens Road-Movie jenseits französischer Großstädte gelungen.
taz hamburg : Zwei Regisseure, die zusammen arbeiten, das ist ja eher ungewöhnlich. Hat jeder von Ihnen bestimmte Aufgaben während der Dreharbeiten?
Jacques Martineau: Das ist ein bisschen wie bei uns zu Hause. Jeder hat da seine Pflichten. Ich initiiere die Projekte meistens, denn ich bin derjenige, der schreibt. Oliver ist eher der Techniker, der die Crew anleitet. Ansonsten machen wir alles zusammen.
Und wer leitet die Schauspieler an?
Oliver Ducastel: Diese Aufgabe teilen wir uns. Wir fanden es diesmal besser zu schreiben: „Drehbuch und Regie von Martineau und Ducastel“. Das war bei unserem vorigen Film Jeanne et le garcon formidable anders, da haben wir die Aufgabengebiete auch im Vorspann aufgeteilt. Aber bei Felix haben wir auch mehr zusammengearbeitet.
Am Ende des Films weiß man nicht so recht, ob Felix seinen Vater tatsächlich findet. Wollen Sie damit sagen, dass die Blutsbande weniger wichtig sind, als die Freundschaften, die er auf seiner Reise knüpft?
M.: Bei einer Suche – das ist recht klassisch – ist das, was man am Ende findet, eigentlich immer weniger wichtig als die Suche selbst. Familie hat nicht nur mit gleichem Blut zu tun, sondern auch mit Beziehungen, die man selbst knüpft. Außerdem sollte man das Recht haben, sich eine neue Familie zu suchen, wenn einem die eigene nicht gefällt. Am wichtigsten ist ohnehin nicht ein biologischer Vater, sondern das Bild, die Vorstellung vom Vater. Das muss nicht unbedingt eine physische Gestalt sein und auch nicht unbedingt ein Mann.
In dem Film gibt es so eine Art Running Gag. Immer wenn Felix irgendwo übernachtet, besteht er darauf, sich morgens eine unglaublich kitschige Seifenoper im Fernsehen anzuschauen ...
M.: Die Seifenoper gibt es in Wirklichkeit gar nicht, die haben wir nachgestellt. Bei einer echten wären die Autorenrechte viel zu teuer geworden. Das ist ein Gag. Was mich bei dieser Seifenoper amüsiert, ist, dass dort ständig von Familienproblemen die Rede ist: „Mein Vater ist nicht mein Vater.“, „Bin ich der Sohn meines Vaters oder meines Onkels?“. In dieser Soap lieben ein Sohn und ein Vater dieselbe Frau. Sie bekommt ein Kind, weiß aber nicht von wem. Am Ende nimmt sie ihr Kind und verlässt beide. Also besteht da auch ein Bezug zur Vaterschaft und damit zu Felix.
Sowohl in Felix als auch in Ihrem Vorgängerfilm sind die Helden HIV-positiv. Dieses Thema scheint Ihnen am Herzen zu liegen. Wollen Sie damit auch eine Botschaft vermitteln?
M.: Bei unserem zweiten Film wollten wir auch die Entwicklung der Behandlungsmöglichkeiten darstellen. Bei Jeanne hat die Fertigstellung, wie bei allen Erstlingswerken, so lange gedauert, dass der Film am Ende gar nicht mehr aktuell war, was die Behandlung der Krankheit betrifft. Das war für uns etwas frustrierend. Diesmal haben wir beschlossen, einen leichteren Film zu machen, der mehr synchron geht mit den aktuellen Behandlungsmöglichkeiten. Und wir wollten mehr Hoffnung vermitteln als bei Jeanne, der ja sehr traurig endet. Allerdings würde ich das nicht als Botschaft bezeichnen. Bis dato habe ich es zwar noch nicht geschafft, etwas zu Papier zu bringen, in dem kein HIV-Positiver vorkommt. Aber das ist auch ein wenig Teil unseres Lebens.
In Felix wird nicht nur Aids erwähnt, sondern es ist auch ein Film über alltäglichen Rassismus. Denn Felix kommt nicht umhin, von einigen nur als „der Araber“ wahrgenommen zu werden. Wollten Sie in Ihrem Film auch ausdrücken, dass man Menschen nicht nach ihrer Erscheinung beurteilen soll?
M.: Ja, natürlich. Wir haben das im Drehbuch so konzipiert, dass es in den Anfangsszenen gar keine weitere Bedeutung hat, dass der Held nordafrikanischer Herkunft ist. Das sollte für den Zuschauer nicht zum Problem stilisiert werden. Am Anfang ist überhaupt keine Rede davon, dass Felix ein Beur (Franzose nordafrikanischer Herkunft, A.d.Ü.) ist. Erst später stellt sich heraus, dass er einen arabischen Vater hat. In seinem Privatleben ist er sehr integriert. Aber das war wohl doch nur ein Märchen, ein Wunschtraum. Über kurz oder lang musste ihn jemand daran erinnern, und in diesem Augenblick wacht er auf und landet wieder auf dem Boden der Tatsachen.
Ja, denn mit seinem Positivsein kann er gut umgehen, er ist auch sehr lebensfroh und macht einen sehr unbekümmerten Eindruck. Aber dass er als „Araber“ diskriminiert und angegriffen wird, macht ihm doch zu schaffen.
D.: Nachdem er überfallen wurde, geht er ja nicht zur Polizei. Erst viel später berichtet er Isabelle diesen Vorfall, und da kommen viele Dinge in ihm hoch. Das könnten auch die Reaktionen auf den Alltagsrassismus sein, den er als Kind erlebt hat. Es ist offensichtlich, dass er darunter leidet und zwar mehr, als darunter, homosexuell zu sein, denn als Schwuler kann er gut leben. Interview: Kira Taszman
Filmstart Donnerstag, Orte s. Programm
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