: Freiwild für Neonazis
■ Der Dokumentarfilm Jorge im Zeise-Kino
Es beginnnt mit einem Kinderspielzeug aus Draht, das über einen Weg in Chinoio/Mosambik holpert. Nur die Kinder bringen Geld nach Hause; die Eltern sind arbeitslos, denn es gibt zu wenig Jobs in Mosambik. In Dresden wurde ein Gedenkstein mit der Inschrift für „Jorge Gomondai 27. 12. 1962– 26. 4. 1991“ errichtet, der bald jedoch umgestürzt wurde. Was dem Wirtschaftsemigranten Jorge Gomondai aus Chinoio an jenem Tag im April 1991 widerfahren ist, das versuchen die beiden Hamburger Filmemacher Monika Hielscher und Matthias Heeder zu rekonstruieren. Sie entwerfen so ein Bild des alltäglichen Rassismus in Deutschland. Dazu setzen sie die Vernehmungsprotokolle der Täter in Szene, lassen Zeugen, Richter und Kollegen, aber auch Jorges Familie, Freunde und Wohnheimnachbarn in Mosambik zu Wort kommen.
Es stellt sich heraus, daß die Polizeistreife, die die Rotte aus 15 Skinheads bereits seit 18 Uhr beobachtete, wie sie Passanten verprügelten und in linken Kneipen der Dresdener Nordstadt randalierten, es nicht für nötig hielt, einzugreifen. Gegen 4 Uhr nachts trafen die Skins in der Straßenbahn auf Jorge, den „Mozzi“, demütigten, verprügelten und traten ihn schließlich aus der Straßenbahn. Sein Aufschlagen auf das Pflaster am Platz der Einheit, von einer Videokamera aufgenommen, wird immer wieder stumm, vergrößert und in Zeitlupe in den Dokumertarfilm eingepaßt.
Die beiden Filmemacher, gefördert von der Hamburger Filmförderung, geben nicht vor, fertige Antworten zu liefern, sondern legen ein Bild des Rassismus aus – auch des lange tabuisierten in der ehemaligen DDR –, das immer wieder den Fokus verändert. Vom stumpfen Straßenskin (“Ich faß doch keine Neger an!) bis zum Protokoll aus dem Bundestag anläßlich der Asylbewerberdebatte entlarven sich die Mordbrenner willig selbst, ohne daß ihnen die Autoren mit aufdringlichen Fragen zu Leibe rücken müßten. So wurden im Bundestag kurz vor dem Mord an Jorge Vokabeln wie „drohende Überfremdung“, „störende Flüchtlinge“ gegen die „Stärke des Volkes“ verantwortungslos im Mund geführt.
Volker Marquardt Zeise: täglich 17.45 Uhr
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