Freisprüche für Anti-WAA-Magazin 'Radiaktiv‘

Nürnberger Landgericht sprach Redakteure vom Vorwurf der Aufforderung zu Straftaten frei / Nach vierjähriger Verfahrensdauer sah der Richter nur noch eine „Prozeßruine“ / Hauptvorwurf: Veröffentlichung von Adressen der am WAA-Bau beteiligten Firmen  ■  Aus Nürnberg Bernd Siegler

Die vier Jahre andauernden gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Anti-WAA-Magazin 'Radiaktiv‘ endeten gestern mit glatten Freisprüchen. Die 2.Strafkammer des Nürnberger Landgerichts unter Vorsitz von Richter Schäff sah in der Berichterstattung des Magazins keine öffentliche Aufforderung zu Brandstiftung und Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft hingegen hatte zuvor gegen drei Redakteure sechs- und siebenmonatige Freiheitsstrafen auf Bewährung gefordert.

Kurz nach Tschernobyl hatte die Kriminalisierung des bayernweiten Anti-WAA-Magazins begonnen. Nummer für Nummer wurde beschlagnahmt und am 28. November 1986 kam es zur ersten Hauptverhandlung vor dem Nürnberger Amtsgericht. Die Staatsanwaltschaft warf den Redakteuren eine Verunglimpfung des Staates, eine Aufforderung zum Geheimnisverrat sowie zu Brandanschlägen und Sachbeschädigung vor.

Inkriminiert worden war sowohl das Titelbild der Ausgabe 6/1986 mit einer Verfremdung der Löwen im bayerischen Staatswappen mit Helm, Knüppel und Hund, als auch ein Aufruf an alle WAA-GegnerInnen, dem Magazin „geheimgehaltene Informationen aus Polizei-, Justiz- und Regierungsapparat“ weiterzugeben. Hauptziel der staatsanwaltschaftlichen Verfolgungstätigkeit war jedoch eine „Schwarze Liste“, auf der Namen, Anschriften und Telefonnummern der am Bau der Wiederaufbereitungsanlage beteiligten Firmen veröffentlicht waren. In Kombination mit einem dokumentierten Bekennerschreiben und dem Abdruck eines ausführlichen taz -Artikels einer radiaktiv-Redakteurin sah die Anklagebehörde darin eine klare Aufforderung zu Straftaten.

In dem taz-Artikel war unter anderem eine Radikalisierung des Widerstands gefordert worden. „Sämtlichen Firmen, die glauben, sich an der WAA eine goldene Nase zu verdienen, muß mit verschiedensten Mitteln deutlich gemacht werden, daß langfristig ihre Verluste größer sind als ihr Gewinn.“ Unter diesen „verschiedensten Mitteln“ konnten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nur Brandanschläge und Sachbeschädigungen zu verstehen sein.

Sowohl das Nürnberger Amtsgericht als auch das Landgericht vermißten in dieser Kombination den gesetzlich vorgeschriebenen klaren Aufforderungscharakter, verurteilten die Redakteure jedoch zu Geldstrafen wegen Aufforderung zum Geheimnisverrat.

Schon vor der Beweisaufnahme der jetzt beendeten Revisionsverhandlung vor dem Nürnberger Landgericht hatte Richter Schäff selten offene Worte gefunden. Eine „Prozeßruine“ sei das Verfahren. Die Anträge der Staatsanwaltschaft hätten „Emotionen statt Tatsachen und Argumente“ wiedergegeben. Die Staatsanwaltschaft hatte in den Veröffentlichungen eine „Verwilderung der politischen Sitten“ gesehen und davon gesprochen, daß mit den Schwarzen Listen Firmen „zum Abschuß freigegeben“ würden. Richter Schäff sah in dem Verfahren jedoch keinen Sinn mehr, zumal die WAA und einer ihrer Mitinitiatoren, Franz Josef Strauß, inzwischen „gestorben“ seien. Schäffs Anregung, das Verfahren mit einer Einstellung zu einem „würdigen Abschluß“ zu bringen, konnte sich Staatsanwalt Breitinger jedoch nicht anschließen und erntete dafür nun gestern mit dem Freispruch eine herbe Niederlage.