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Freispruch für AnwaltBGH stärkt Sterbehilfe

Ein Anwalt hatte seiner Mandantin geraten, den Ernährungs-Schlauch ihrer in Koma liegenden Mutter durchzutrennen – und wurde wegen versuchten Totschlages verurteilt. Der BGH hob das Urteil auf.

Haben recht bekommen: Der beklagte Anwalt Wolfgang Putz und seine Mandantin Elke Gloor. Bild: dpa

KARLSRUHE afp | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Recht auf menschenwürdiges Sterben gestärkt. Der Abbruch lebenserhaltender Behandlungen auf Grundlage des Patientenwillens ist künftig nicht mehr strafbar, entschied der BGH am Freitag in Karlsruhe in einem Grundsatzurteil. Das Gericht schuf damit Rechtsklarheit für Ärzte und Betreuer im Umgang mit unheilbaren und im Koma liegenden Patienten. (Az: 2 StR 454/09)

Bislang war in der Rechtsprechung umstritten, ob Ärzte und Betreuer sich bei der Umsetzung des Patientenwillens durch "aktives Tun" strafbar machen, wenn sie etwa Magensonden zur künstlichen Ernährung durchtrennen, weil das Strafgesetzbuch die Tötung auf Verlangen verbietet. Passive Sterbehilfe war demnach nur zulässig, wenn eine lebensnotwendige Behandlung passiv "unterlassen" wurde.

Der BGH präzisierte nun den aus seiner Sicht "ungewissen und konturlosen Begriff" der passiven Sterbehilfe durch den von Patienten gewollten "Behandlungsabbruch". Demnach können Ärzte und Betreuer künftig medizinische Behandlungen, die den natürlichen Sterbeprozess hinauszögern, aktiv beenden, ohne sich strafbar zu machen. Dies sehe auch das 2009 in Kraft getretene Betreuungsgesetz vor, entschied der BGH.

Mit dem Urteil wurde zugleich der renommierte Patientenrechtler Wolfgang Putz vom Vorwurf des versuchten gemeinschaftlichen Totschlags freigesprochen. In dem zugrunde liegenden Fall lag eine Frau rund fünf Jahre lang in einem Heim im Wachkoma. Sie wurde gegen ihren vorher erklärten Willen künstlich ernährt, bis ihre Tochter schließlich auf Anraten ihres Anwalts Putz den Schlauch der Magensonde durchschnitt. Putz wurde deshalb zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Über seine Revision hatte der BGH nun zu entscheiden. Die Tochter wurde freigesprochen, weil sie dem Rat des Anwalts "irrtümlich" gefolgt sei.

Putz bezeichnete nun das BGH-Urteil als "Sieg für Patientenrechte und für das menschenwürdige Sterben". Der frühere BGH-Vorsitzende Klaus Kutzer und Rechtsgutachter zu Fragen der Patientenautonomie sagte, mit dem Urteil sei für die tägliche Praxis in Krankenhäusern und Pflegeheimen "Rechtssicherheit geschaffen" worden. Ärzte stünden nicht mehr wie zuvor mit einem Bein im Gefängnis, wenn sie den Willen unheilbarer Patienten befolgen und eine lebensverlängernde Behandlung abbrechen.

Ähnlich äußerte sich in Karlsruhe der Leiter der Akutklinik des Klinikums Nürnberg, Frank Erbguth. Das Urteil sei ein "wichtiger Meilenstein für die Medizin". Es schaffe Klarheit, unter welchen umständen Ärzte eine nicht gewollte Therapie abbrechen dürfen. Nach Ansicht Erbguths wird mit dem Urteil die "Forderung nach aktiver Sterbehilfe überflüssig", weil nun die passive Sterbehilfe sehr viel leichter möglich sei.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte, dass der BGH "dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen zu Recht einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt" habe. Die Entscheidung stelle klar, dass es "keine Zwangsbehandlung" gegen den Willen des Menschen geben dürfe. "Niemand macht sich strafbar, der dem explizit geäußerten oder dem klar festgestellten mutmaßlichen Willen des Patienten, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, Beachtung schenkt", erklärte die Ministerin.

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8 Kommentare

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  • T
    Toby

    Wenn das Urteil allein auf die gebotene Beachtung des Patientenwillens abstellt, ist es in Sachen Sterbehilfe wohl weder ein Schritt in die eine, noch in die andere Richtung und enthält keinen Regelungsgehalt, der über die bestehende Rechtslage hinaus geht.

  • K
    Kritiker

    Jeder wünscht sich ein würdiges Leben, und ein würdiges Sterben.

    Bei der ganzen Diskussion darf man nicht vergessen, dass es sich um die Würde, des Menschen handelt.

    Artikel 1 Grundgesetz.

    Die Würde des Menschen ist unantastbar.

    Bei der weiteren Diskussion, um Patientenrechte,

    darf man, die Rechte von Krankenhauspatienten, nicht vergessen,

    ganz besonders die der Psychiatrischen Krankenhäuser.

    Denn dort gibt es keine Würde.

    Und das war schon immer so.

    Und das hat sich kaum geändert.

    Dort werden Menschen allgemein gegen ihren Willen behandelt. Sowie auch Kinder, die sich nicht äußern können.

  • AE
    Auf ein Wort

    Finde ich gut! Endlich ein Schritt in die richtige Richtung, der längst überfällig war. Diesem Thema gehört viel mehr sorgfältige Aufmerksamkeit geschenkt. Und zwar ohne diese furchtbaren "Totschläger"-Argumente, die jede konstruktive Diskussion im Keim ersticken wollen. Ich wünsche mir, das in dieser Richtung noch mehr verbessert wird, diese Entscheidung ist hoffentlich nur der Anfang.

  • S
    Sensenmann

    Wie will man die Authentizität einer Sterbezusage sicherstellen? Woher will man wissen, dass der Patient bei der Unterschrift zu seinem Sterbeurteil 100% geistig zurechnungsfähig ist? Der Patient könnte bei der Unterschrift unter dem Einfluss von irgendwelchen Psychodrogen gestanden haben, ausserdem ist mit entsprechendem Aufwand nahezu jedes Dokument fälschbar.

  • L
    lukas

    Ob jemand, der seit fünf Jahren im Koma liegt und keine Aussicht mehr auf Besserung hat, noch weiterleben will, ist zu bezweifeln. Diesen Menschen gehen zu lassen, hat nichts mit "Massentötung" zu tun.

  • A
    Arzt

    Die Beendigung einer sinnlosen Therapie hat nichts mit Sterbehilfe zu tun. Man kann das schon im Titel differenzierter ausdrücken. Oder wollen Sie die Tötung von Kranken unterstützen?

  • G
    Gor

    Das ist ganz schlimm. Sterbehilfe ist das Einfallstor zur Massentötung der Generation Baby-Boomer, wenn man nämlich in 20 Jahren deren Renten nicht mehr zahlen will. In nicht allzu ferner Zukunft wird sich der alte kranke Mensch, der nicht sterben will, dafür rechtfertigen müssen. Der Druck der jungen Generation auf die Alten, ihnen doch nicht länger zur Last zu fallen, wird steigen. Das Gesetz wird den Alten dann nicht mehr helfen.

  • D
    Doppelmoralist

    Ich würde mir in einer solchen Situation auch wünschen, dass mich einer meiner Lieben erlöst. Mich verhungern oder verdursten zu lassen ist aber grausam. Hier sollte aktiv und menschenwürdig ein rasches Ende herbeigeführt werden dürfen, zum Beispiel durch einen geeigneten Medikamentencocktail.