Freilassung des Lockerbie-Bombers: Bessere Geschäfte mit Libyen
Die Freilassung des angeblichen Lockerbie-Attentäters soll wirtschaftliche Gründe haben. Premierminister Brown lässt Schottlands Regierung mit der Kritik aus den USA allein.
DUBLIN taz | Die Sache hätte für den britischen Premierminister Gordon Brown nicht besser laufen können. Dank der Freilassung des angeblichen Lockerbie-Bombers Abdelbaset Ali Mohamed al-Megrahi gehen die Geschäfte mit Libyen offenbar besser denn je, aber die heftige Kritik an der Begnadigung, vor allem aus den USA, trifft allein die schottische Regierung.
Der schottische Justizminister Kenny MacAskill von der separatistischen Scottish National Party (SNP) hatte vorigen Donnerstag die Freilassung al-Megrahis angeordnet, nachdem vier Ärzte bei ihm Prostatakrebs im Endstadium diagnostiziert hatten.
Noch am selben Tag wurde der 57-jährige ehemalige Geheimagent in seine Heimat ausgeflogen, wo er von Hunderten von Menschen, die das schottische Andreaskreuz schwenkten, wie ein Held begrüßt wurde. Er muss sich einmal im Monat per Videoschaltung bei der schottischen Gefängnisbehörde melden.
Al-Megrahi ist 2001 aufgrund dubioser Indizien zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er soll für den Bombenanschlag auf eine Boeing 747 der US-Fluggesellschaft Pan Am kurz vor Weihnachten 1988 verantwortlich sein. Dabei starben sämtliche 259 Passagiere und Besatzungsmitglieder, elf Menschen wurden durch herabstürzende Flugzeugteile in der schottischen Kleinstadt Lockerbie getötet.
Die schottische Regierung hatte das Parlament am Montag frühzeitig aus den Sommerferien zurückgerufen, um eine Debatte über den Fall al-Megrahi zu ermöglichen. MacAskill wiederholte seine Gründe für die Begnadigung. Barmherzigkeit sei nun mal Teil des schottischen Charakters, sagte er und beklagte die Doppelzüngigkeit der britischen Regierung: Einerseits habe sie den USA versichert, dass al-Megrahi keinesfalls freigelassen werde, gleichzeitig aber mit Gaddafi im Rahmen von Geschäftsverhandlungen ein Gefangenenüberstellungsprogramm vereinbart, bei dem es offensichtlich um al-Megrahi gegangen sei.
Das bestätigte auch Gaddafis Sohn Saif, der mit dem britischen Wirtschaftsminister Peter Mandelson mehrmals auf Korfu verhandelt hat. Bei den Gesprächen über Öl und Gas sei es stets auch um al-Megrahi gegangen, sagte Saif Gaddafi. Das Londoner Außenministerium wies das zurück: "Zwischen der britischen Regierung und der libyschen hat es keine Geschäfte gegeben, die etwas mit al-Megrahi zu tun hatten", hieß es in einer Erklärung.
Tatsache aber ist, dass die Geschäfte blühen. Die libysche Investmentbehörde (LIA) hat groß in Londoner Gewerbeimmobilien investiert - eine willkommene Finanzspritze, denn der Markt ist in den vergangenen 18 Monaten um 30 Prozent geschrumpft. Seit Ende vorigen Jahres hat die LIA zwei Gebäude für insgesamt 275 Millionen Pfund gekauft und angekündigt, weitere Häuser zu erwerben.
Darüber hinaus will die Behörde eine Zweigstelle in London eröffnen. Das hätte zur Folge, dass Milliardengeschäfte über britische Banken abgewickelt werden. Umgekehrt hat auch Großbritannien erhebliche Geschäftsinteressen in Libyen, dem ölreichsten Land in Afrika. BP hat einen 900-Millionen-Dollar-Vertrag für Erdölbohrungen in Libyen abgeschlossen.
Nächste Woche soll im schottischen Parlament eine erneute Debatte über al-Megrahi stattfinden. Bei der Gelegenheit will die SNP-Abgeordnete Christine Grahame einen Syrer, der unter dem Schutz der US-Regierung in Washington lebt, als wahren Lockerbie-Attentäter benennen.
Der frühere schottische Labour-Minister Richard Simpson warnte hingegen, dass der Regierung in Edinburgh mehr Ärger ins Haus stehen werde, falls al-Megrahi länger als die prognostizierten drei Monate lebe: Dann wären die Angehörigen der US-amerikanischen Opfer und die US-Regierung noch aufgebrachter, als sie es jetzt schon sind.
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