: Freiheit für Gen-Elefanten
Kabinett beschließt Gentechnikgesetz ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
Bonn (taz) – Für die grüne Europaabgeordnete und Gen-Expertin Hiltrud Breyer ist es ein „Gentechnikbeschleunigungsgesetz“, für Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) hingegen „ein Signal, daß wir ja sagen zu dieser Schlüsseltechnologie“. Gestern billigte das Bundeskabinett den von Seehofer und Forschungsminister Paul Krüger (CDU) vorgelegten Entwurf für ein novelliertes Gentechnikgesetz. Die Novelle, die nach Seehofers Absicht bereits zum 1. Januar 1994 in Kraft treten soll, kommt der chemischen Industrie zum Teil noch weiter entgegen als ein kürzlich vorgestellter Referentenentwurf.
Wie von Seehofer bereits angekündigt, sollen die Genehmigungsverfahren vor allem in den Sicherheitsstufen eins und zwei gestrafft und zum Teil durch eine bloße Anmeldepflicht ersetzt werden. Gentechnische Anlagen und Arbeiten sollen danach bereits dann als genehmigt gelten, wenn die Behörden nach einem Monat keinen Widerspruch eingelegt haben.
Seehofer will gleichzeitig auf seine ursprüngliche Absicht verzichten, ein für jedermann einsehbares Register zu schaffen, in dem alle Genehmigungen nach dem Gentechnikgesetz aufgeführt sind. Gegen diesen Plan hatten Forscher, Industrie und das Bonner Wirtschaftsministerium Protest angemeldet.
Die Bürgerbeteiligung soll künftig stark eingeschränkt werden. Anlagen und Arbeiten in Stufe eins dürfen, wenn sich die Bundesregierung durchsetzt, ohne jede Öffentlichkeitsbeteiligung genehmigt werden. Unter Stufe eins fallen nach Krügers Angaben etwa 78 Prozent aller gentechnischen Arbeiten und Anlagen. Darunter zählen Manipulationen an Hefe sowie Bakterien für die Käse- und Bierherstellung. Die Insulinproduktion mit genetisch veränderten Organismen gehöre ebenfalls in diese Stufe, hieß es.
Auch die Freisetzung bestimmter gentechnisch veränderter Organismen soll künftig ohne öffentliche Anhörung erlaubt sein. Mit ihrer Novelle will die Bundesregierung die Voraussetzungen schaffen, um dies ebenfalls zum Jahreswechsel per Rechtsverordnung zu ermöglichen. Doch soll diese Regelung lediglich für sogenannte „rückholbare Organismen“ gelten, sagte ein Seehofer-Mitarbeiter. Als Beispiele nannte er Pflanzen, die im hiesigen Klima nicht den Winter überstünden, oder auch die Freisetzung von Großtieren: „Ein Elefant ist rückholbar.“
Die Bundesregierung glaubt, sich mit diesen Lockerungen nicht in Widerspruch zu der relativ eng gefaßten, einschlägigen EG-Richtlinie zu begeben. Das Kabinett habe beschlossen, in Brüssel und bei den Mitgliedsstaaten auf eine Deregulierung der EG-Gesetzgebung zu drängen, sagte Seehofer. Er erwarte aber, daß sich „diese Gespräche sehr schwierig gestalten“.
Seehofer und Krüger zeigten sich optimistisch, bei den Beratungen in Bundestag und Bundesrat mit der SPD über die Novellierung einig zu werden. Deren Forschungsexperte Wolf-Michael Catenhusen begrüßte den Gesetzesentwurf gestern, meldete aber auch eine Reihe von Kritikpunkten an. Für die SPD sei es eine „zwingende Voraussetzung“, daß das umstrittene Register in den Gesetzesentwurf aufgenommen werde, sagte der SPD-Abgeordnete der taz. Deutschland müsse hier dem Vorbild von Frankreich, Großbritannien und Dänemark folgen. Daneben verlangte Catenhusen, die Öffentlichkeitsbeteiligung im jetzigen Umfang zu erhalten. Freisetzungen ohne Bürgerbeteiligung werde die SPD nicht akzeptieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen