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Freiheit 2. Klasse für Rössner

Statt Begnadigung durch den Bundespräsidenten wird der RAF-Gefangene nun für 18 Monate in die Therapie entlassen  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Der kranke RAF- Gefangene Bernd Rössner kann die Justizvollzugsanstalt in Kassel am 17. November nach über siebzehn Jahren Haft verlassen und sich einer Therapie unterziehen. Das entschied gestern nachmittag nach einer entsprechenden Anordnung des Bundespräsidenten Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP). Der „Strafausstand“ ist zunächst auf eineinhalb Jahre begrenzt. Über das weitere Vorgehen werde zu einem späteren Zeitpunkt entschieden, hieß es in einer knappen Mitteilung des Ministeriums.

Die Hoffnungen Bernd Rössners und seiner Anwälte auf eine Begnadigung durch Weizsäcker blieben vorläufig unerfüllt. Allerdings ist damit zu rechnen, daß sich der Bundespräsident nach Ablauf der 18-Monats-Frist erneut mit dem Gnadengesuch der Mutter des Gefangenen befassen und positiv entscheiden wird.

Die in mehrmonatigen Verhandlungen zwischen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, dem Bundesjustizministerium, dem Bundespräsidialamt und den Rössner-Anwälten ausgehandelte Entlassungsprozedur war in den vergangenen Wochen durch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf überraschend noch einmal in Frage gestellt worden.

Von diesem Gericht wurden Rössner und seine drei Mitangeklagten Hanna Krabbe, Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo im Juli 1977 wegen des Überfalls der RAF auf die deutsche Botschaft in Stockholm zu einer zweimal lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Fünfzehn Jahre nach dem Attentat vom 24. 4. 75, bei dem zwei Botschaftsangehörige und zwei RAF-Kommandomitglieder ums Leben kamen, verweigerte der zuständige 6. Senat des OLG Düsseldorf einer möglichen „bedingten vorzeitigen Entlassung“ des bereits damals durch die lange Haft schwer gezeichneten Bernd Rössner schon einmal die Zustimmung.

Nun wollte das Gericht unter seinem Vorsitzenden Wolfgang Steffen am kommenden Dienstag den Stockholm-Attentäter erneut anhören und über seine mögliche Entlassung befinden. Eine Entscheidung wie vor zwei Jahren hielt man in Karlsruhe und anderswo für durchaus wahrscheinlich. Zwar laufen Gnadenverfahren und die Verhandlungen zur „vorzeitigen Entlassung“ zu lebenslanger Haft verurteilter Gefangener nach dem Gesetzeswortlaut unabhängig voneinander. Eine Begnadigung durch den Bundespräsidenten unmittelbar vor oder nach der vom OLG Düsseldorf anberaumten Anhörung wäre also rechtlich zulässig gewesen, hätte jedoch politisch sicherlich einigen Wirbel ausgelöst. Der Vorwurf, der Bundespräsident habe sich rüde über die Entscheidung der Dritten Gewalt im Staate hinweggesetzt, wäre von interessierter Seite unweigerlich erhoben worden. Die Sache einfach aussitzen und nach der Gerichtsentscheidung eine gewisse Schamfrist vergehen lassen, konnte Weizsäcker auch nicht. Denn dies hätte die Zusage an den Gefangenen und seine Anwälten zunichte gemacht, wonach Rössner spätestens drei Monate nach seiner Verlegung aus dem Knast im bayerischen Straubing in die psychiatrische Abteilung der JVA Kassel verlegt werden sollte. Diese Frist läuft exakt an jenem 17. November aus, an dem sich nun die Gefängnistore für den RAF-Häftling öffnen. Für die Freilassung Rössners, der nach jahrelangen isolierenden Haftbedingungen und zahlreichen Hungerstreiks schwer gezeichnet war, hatten sich in der Vergangenheit auch zahlreiche Persönlichkeiten des liberalen Spektrums eingesetzt. Die anderen zu lebenslänglicher Haft verurteilten Gefangenen der RAF machten eigene Anträge auf „bedingte vorzeitige Entlassung“ im Frühjahr von einer vorherigen Freilassung Bernd Rössners abhängig. Nicht zuletzt deshalb wurde der Lösung des „Falls Rössner“ eine Schlüsselfunktion für den Fortgang der unter dem Namen „Kinkel-Initiative“ bekannten Bemühungen um eine Beendigung der RAF-Aktionen beigemessen.

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