: Freier Fall
■ betr.: „Hauchdünne Mehrheit für den Großen Lauschangriff“, taz vom 17./18.1. 98, „Medizinexperi mente unter Vorbehalt“, taz vom 21.1. 98
Da unsere ehemaligen Feinde, die drüben, nicht mehr da sind beziehungsweise ihre Feindfunktion verloren haben, da es momentan also kein Gegenmodell zu dem unsrigen zu geben scheint, fehlt unseren Mächtigen leider auch der Ehrgeiz, etwas besser zu machen. Nur so kann man sich die Schamlosigkeit der Volksvertreter erklären, mit der sie sich selbst die Taschen füllen, sich und den ihrigen Pöstchen zuschieben und von den anderen Bescheidenheit verlangen.
Es ist noch keine zehn Jahre her, daß die DDR mit ihrem menschenverachtenden System der Staatssicherheit zusammenbrach. Die Abscheu vor so einer Verletzung der Privatsphäre mag damals von vielen echt gewesen sein. Doch ihre Kritik an der Stasi hindert unsere Regierung offensichtlich nicht, ebenfalls ein Bespitzelungssystem zu installieren, den Großen Lauschangriff. Parlamentarier dürfen ausnahmsweise nicht abgehört werden, wen wundert's.
Daß nun auch unter bestimmten Bedingungen medizinische Versuche an lebenden Menschen in Betracht gezogen werden, Mengele läßt grüßen, ist so bodenlos, so schrecklich, daß es schwerfällt, Fassung zu bewahren. Für unsere Regierung spricht allerdings die Tatsache, daß dieser Vorschlag nicht von ihr, sondern von der Bioethik-Konvention des Europarates unterbreitet wurde. Bravo! Aber irgendwann wird man sich auch hierzulande der normativen Macht des Faktischen, also der Resignation hingeben, und versuchen, auch damit Geld zu verdienen. Roland Laudin,
Bergisch Gladbach
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