: Frei und unbehelligt in Syrien
■ Das Berliner Landgericht fordert internationalen Druck gegen Syrien, um die Auslieferung des Drahtziehers des Maison-de-France-Anschlages zu erreichen / Verurteilt wurde nur der Gehilfe
Berlin (taz) – Der Vorsitzende Richter der 29. Großen Strafkammer am Berliner Landgericht, Wolfgang Hüller, ist an sich ein ruhiger Mensch. Gestern, bei der Begründung des Urteils gegen den früheren Stasi-Offizier Helmut Voigt, war ihm aber deutlich starker Unmut anzumerken. Der Skandal, betonte er, sei nicht nur, wie eng die Ostblockländer Anfang der achtziger Jahre mit den international gesuchten Terroristen der „Carlos“-Gruppe kooperiert haben. „Unerträglich“ fand Hüller, daß mit Voigt lediglich ein Gehilfe des Sprengstoffanschlages auf das „Maison de France“ abgeurteilt werden konnte. Und das obwohl der Drahtzieher des Anschlags, bei dem der 29jährige Maler Michael Haritz ums Leben kam und 23 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, allen wohl bekannt ist. Daß das frühere Mitglied der Revolutionären Zellen und engster Vertrauter von Carlos, Johannes Weinrich, trotz mehrfacher Auslieferungsersuchen der Bundesrepublik „frei und unbehelligt in Syrien rumläuft“, das sei „einer der Skandale, die hier offenbar geworden sind“. Der deutliche Fingerzeig erging in Richtung Auswärtiges Amt. Wie man es anders machen kann, hätten die Amerikaner am Beispiel des Lockerbie-Attentates den Lybiern gegenüber vorgeführt. Es wäre jetzt an der Zeit, endlich gegenüber Syrien „international Druck zu machen“.
„Tatkräftige logistische Hilfe“ nannte der Richter den von der Stasi geleisteten Beitrag. Dem MfS sei schließlich bekannt gewesen, daß die „Carlos“-Gruppe seit den 70er Jahren Beziehungen nicht nur zur „Bewegung 2. Juni“, sondern auch zur baskischen ETA, der armenischen „Asala“, den italienischen Roten Brigaden und zur „Roten Armee“ in Japan unterhalten hat. Aus den Unterlagen der Stasi gehe weiter hervor, daß den Verfassern der Berichte auch vor Augen stand, daß die „Carlos“- Truppe zunehmend „Auftragsarbeiten“ erledigte. Etwa den Münchner Anschlag auf den amerikanischen Sender „Radio Free Europe“ im Februar 1981.
Als Motive für die Zusammenarbeit machte Hüller aus, die Stasi hätte letztlich ideologisch ähnliche Ziele wie die „Carlos“-Gruppe verfolgt – wenn auch andere Mittel angewendet. Hinzu sei gekommen, daß über die Kooperation mit der Gruppe Informationen über den gesamten Terrorismusbereich „abgeschöpft“ werden konnten. Das dritte Motiv, das gestern vor dem Urteilsspruch auch der letzte Generalsekretär der SED, Egon Krenz, als Zeuge verteidigte, hat für den Richter nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Sicherheitsbedürfnisse der DDR hätten bei den Terrorkontakten „nicht im Vordergrund gestanden“. So sei auch die vom Angeklagten im Verlauf des Prozesses vorgetragene Ablehnung des Terrors nur „Augenwischerei und Lippenbekenntnis“. Spätestens seit April 1982 sei den Verantwortlichen der Stasi bewußt gewesen, „daß man hier eine internationale Organisation von Mördern unterstützte“. Wolfgang Gast
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