Free Jazz oder Extrem-Rock: Auf die Ohren, aber was?

The Thing oder die Melvins? Manche Hamburger Konzertgänger müssen sich heute (schwer) entscheiden.

Freier Jazz als Naturereignis: The Thing Foto: Ziga Koritnik

Man kann das natürlich einfach als entsetzlich geschmäcklerisch empfinden und schlimm selbstmitleidig noch dazu. Da wagen die Verantwortlichen es doch tatsächlich, die zwei aus Sicht des feinen Herrn Redakteurs möglicherweise tollsten (Hamburger) Konzerte des ausgehenden Jahres auf ein- und denselben Abend zu buchen? Sodass er sich nun genötigt sieht, sich zu entscheiden, wo er hingeht, herrje! (und am Ende noch weder noch tut, der Arme)?

Jep, genau so: Am heutigen Montag spielt, ziemlich exakt gleichzeitig, die Musik gleich zwei Mal. Einerseits, im Westwerk, in Gestalt des fantastischen skandinavischen Jazz-Trios The Thing, das mit „Jazz-Trio“ so unzureichend beschrieben ist: Erst- und bisher letztmals trat das Ding 2013 in Hamburg auf – im Rahmen des so sympathischen wie kurzlebigen Festivals „Jazz And The Edge Of The Plate“, und für dessen Nicht-Borniertheit, was Genres und ihre Tellerränder angeht, war die Band beispielhaft.

Denn was Mats Gustafsson an diversen Saxofonen (manchmal aber auch elektronischen Krachmachern), Bassist Inge­brigt Håker Flaten und Schlagzeuger Paal Nilssen-Love da in ihren vielen guten Momenten von der Kette lassen, wütet, schnaubt und tobt; es ist gerade keine der häufig so unentschiedenen Melangen aus Jazz und Rock, sondern ein maximal rockender, aber aus seinen allerfreiesten Spielarten sich bedienender Jazz, einer für Motörhead-Fans vielleicht.

Oder für Melvins-Freunde – womit wir beim konkurrierenden Terminkalendereintrag wären: Im Logo geben sich die Melvins die sprichwörtliche Ehre, diese schwerst rockende aller schwer rockenden Bands, ohne die auch Nirvanas Kurt Cobain nicht gewesen wäre, was er war (was man ihm durchaus wünschen könnte – vielleicht wäre er noch am Leben, zum Beispiel).

Gegründet hat sich die Band 1983 im US-Bundesstaat Washington, da also, wo ein paar Jahre später der Grunge erfunden wurde. Seither produziert die Band unbeirrt einen Tonträger nach dem anderen, ein paar davon auch auf einem Major-Label – eine Folge just des Nirvana-Erfolgs, nach dem ja in den frühen 90er-Jahren die gesamte Branche etwas abhaben wollte vom wiederentdeckten Wilde-Gitarren-Jungs-Ding. Bemerkenswert: Während so mancher Noiserocker sich des mäßigenden Kalküls der jeweils gefundenen neuen Dienstherren nicht erwehren konnte, legten die Melvins damals erst recht maximal Sperriges vor (mit „jetzt erst recht“ ist überhaupt vieles an ihnen ziemlich gut beschrieben).

So zelebrieren die Melvins seit bald 35 Jahren ihre doppelbödige Koketterie mit Klischees und Kanon – so erinnerten sie an die geschminkten Stadion-Hardrocker Kiss, als nach denen nicht ein Hipster krähte –, um dann wieder scharenweise Schönwetterhörer zu vertreiben durch entnervende Experimente; dass sich King Buzzo, der an die Simpsons-Nebenfigur Side Show Bob erinnernde Gitarrist und Sänger dann obendrein mit Aussagen gefällt, die quer liegen zu allerlei liberalen Übereinkünften (aber beispielsweise auch mit Pietätlosem schon kurz nach Cobains Selbstmord) – vielleicht muss man das alles längst als eine Art Gesamtkunstwerk betrachten.

Mit ins Logo bringen sie nun eine noch etwas ältere, aber nur beinahe so legendäre Band, die zuletzt vor 20 Jahren auf derselben Bühne zu sehen war: Red Kross hießen bis zu absehbaren Rechtsstreitigkeiten auch mal Red Cross und entstammen der kalifornischen Früh-80er-Surfpunk-Szene. Die damals noch blutjungen Brüder Jeff und Steve McDonald scharten allerlei Leute um sich, die später unter anderem Bad Religion gründeten oder bei Black Flag sangen. Einflüsse aus B-Filmen, Trash, Glam und der gern verdrängten, der tödlichen Rückseite des Flower-Power-Klischee-Kalifornien verarbeiteten sie zu einem immer nur scheinbar gefälligen, bitterbös-bubblegumbunten Powerpop.

Auch Redd Kross schienen im Grunge-Hype-Fahrwasser vor 25 Jahren so etwas wie ein Stück vom sprichwörtlichen Kuchen in Aussicht zu haben, mit einem weit über ihre bis dahin angestammte Nische hinaus beachteten Album „Phaseshifter“, und in einer besseren Welt hätte Quentin Tarantino ihnen per Einsatz in einem seiner Filme längst die Alterversorgung gesichert. Aber, ach.

Nach langer Pause nahmen sie erst vor ein paar Jahren die Gitarren wieder in die Hand, aber Hymnen für die verlorene Jugend, die liegen ihnen sicher immer noch.

Und wohin nun?

The Thing, Westwerk; Melvins/Redd Kross, Logo; beides heute, Montag, 16.10., 21 Uhr. The Thing spielen außerdem morgen, Dienstag, 17.10., im Speicher in Leer

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