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Frauenrechtlerinnen gegen SenatsbroschüreAufgewärmter Kopftuchstreit

Ein Infoheft gegen Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen wird als "Kniefall vor Fundamentalisten" kritisiert. Integrationsbeauftragter und Türkischer Bund kritisieren die Kritik.

Große Aufregung über eine kleine Nachricht: Gerade mal zwanzig Zeilen lang ist die Meldung im Wochenmagazin Focus, in der die türkischstämmigen Frauenrechtlerinnen Seyran Ates und Serap Çileli eine Broschüre kritisieren, die die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung schon im Juli veröffentlicht hat. Als "Pamphlet für das Kopftuch" (Ates), gar als "Kniefall vor den Fundamentalisten" (Çileli), bezeichnen die beiden das zwanzig Seiten starke Heftchen mit dem Titel "Mit Kopftuch außen vor?", in dem es um Diskrimierungserfahrungen Kopftuch tragender Musliminnen auf dem Arbeitsmarkt geht.

Herausgeber der Schrift sind die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales sowie der Integrationsbeauftragte des Landes. Nicht nur dort stößt die harsche Kritik auf Unverständnis: "Die Broschüre richtet sich an Kopftuch tragende Frauen mit Diskriminerungserfahrungen", so eine Sprecherin der Senatsverwaltung. Ihnen solle dabei geholfen werden, sich gegen solche Benachteiligungen zu wehren - wie es die Aufgabe der Landesstelle für Gleichbehandlung eben vorsehe. Auch der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) übt Kritik an der Kritik: "Gegen Diskriminierungen jeglicher Art muss konsequent angegangen werden", sagt TBB-Sprecher Safter Çinar. Die Broschüre treffe keine Aussage darüber, ob das Tragen eines Kopftuchs religiös gerechtfertigt sei oder nicht: Auch diese Debatte müsse und solle geführt werden, so Çinar, "allerdings an anderer Stelle". Kritikerin Seyran Ates sieht das anders. Niemand bestreite die Diskriminierungserfahrungen von Kopftuchträgerinnen, sagte die Anwältin gegenüber der taz: "Das ist ein altes Thema."

Das aber heute differenzierter behandelt werden müsse: "Wir haben eine politische Entwicklung in den Reihen der Kopftuchträgerinnen." Es sei die Aufgabe einer Integrationsbehörde, das zu beleuchten. Auch Serap Çileli will "die Diskriminierung von Kopftuch tragenden Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht wegdiskutieren." Aber die Frauen grenzten sich mit der Entscheidung für das Kopftuch ja selbst aus, meint die Autorin mehrerer Bücher über das Leben türkischstämmiger Familien in Deutschland. Ihr fehlt in der Broschüre der Hinweis, dass das Tragen des Kopftuchs kein Zwang ist: "Darüber aufzuklären sollte eigentlich die Aufgabe des Staates sein!" Indem der Senat stattdessen nur die Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen anprangere, signalisiere er religiösen Familien, es sei okay, wenn ihre Frauen und Mädchen Kopftücher tragen, so Çileli.

Er sei "überrascht und erschrocken" über diese Kritik, sagte Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening der taz: "Die Argumentation hat manchmal den Unterton, dass die Frauen ja selbst schuld seien, wenn sie keine Arbeit fänden." Selbstbestimmungsrechte von Frauen seien aber "unabhängig davon, ob diese Kopftuch tragen oder nicht."

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1 Kommentar

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  • S
    s.fuchs

    Man darf aber mal fragen, was den der dringende Auslöser gewesen ist, eine solche Broschüre herauszugeben?

     

    Im Tagesspiegel war zu lesen:"Das Heft...kommt dann auf „Diskriminierungserfahrungen“ zu sprechen. Dafür liegen laut Verfasser mehrere Gespräche mit 30 Musliminnen, einer Leiterin einer Erziehungsschule und einem Vertreter einer islamischen Religionsgemeinschaft zugrunde... Dass es sich dabei aber um keine repräsentativen Belege handelt und Zahlen fehlen, wird zwar erörtert. Dennoch kommt Knake-Werners Verwaltung zu dem Schluss, dass ein „hohes Maß an Diskriminierungen muslimischer Frauen aufgrund ihres Kopftuchs“ bestehe.

     

    Wahnsinn. Diskriminierung ist aus meiner Sicht vor allem das, was Frauen in ihren erzkonservativen, muslimischen Familien erleben. Und das Kopftuch tragen viele junge Frauen, entweder weil es angeordnet wurde, oder weil ein Interesse besteht, eine Gegenhaltung zu einer liberalen Gesellschaftsordnung einzunehmen und dies zum Ausdruck zu bringen. Beides erregt Besorgnis.

     

    In patriarchalisch-autoritätären Gesellschaften werden Freiheits- bzw. insbesondere Frauenrechte mißachtet. Sagen junge Musliminnen selbst. Das Kopftuch ist in vielen Fällen Ausdruck von Unfreiheit. Ich bin nicht für ein Verbot des K.-tragens. Aber neben solchen Aktionen von Frau Knake-Werner sollte doch v.a. endlich mal eines Geschehen: Die Vermittlung der Werte einer freien Gesellschaft.

     

    Dazu bemerkt N. Kelek sehr treffend (frei zus.gefaßt): Die Freiheit einer Gesellschaft bestehe nicht darin, dass Gruppen in ihr machen können, was sie wollen. Sondern es gehe viel mehr darum, jedem Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu gewährleisten. Und genau das wird in vielen musl. Religionsgemeinschaften verhindert.

     

    Kopftuch hin oder her. Eine Integrationssenatorin hat wichtigere Aufgaben.