: Frauen, keine Anstandsdamen
■ In To Wong Foo lassen ausgerechnet Patrick Swayze und Wesley Snipes die Frau raus und betreiben so Körperpolitik
Bisher brauchten Männer auf der Kinoleinwand immer sehr triftige Gründe, ehe sie sich Frauenkleider anzogen: Entweder wurde dringend eine Anstandsdame gebraucht, sie suchten händeringend einen Job oder mußten sich vor der Mafia verstecken. Oft agierten sie dann auch noch so peinlich plump, daß man sich als Zuschauer wunderte, wieso die Maskerade nicht sofort aufflog.
Patrick Swayze zählte auch ohne Maske bisher zu den sehr triftigen Gründen, das Kino zu meiden. Wenn es darum ging, einem jungen Publikum Biedersinn nahezubringen, war der amerikanische Saubermann die allererste Wahl. Unermüdlich kämpfte er für die Herabsetzung der Spießer-Altersgrenze.
Aber die Zeiten ändern sich. Männern braucht es nicht mehr peinlich zu sein, wenn sie mal die Frau rauslassen. Und Patrick Swayze ist kaum wiederzuerkennen. Sein Partner Wesley Snipes übrigens auch nicht. Immer wieder erstaunlich, was Klamotten, Schminke und eine ordentliche Körperhaltung bewirken können – selbst bei solchen Muskelpaketen.
Die eindeutig hübscheste und überzeugendste der drei Transen, die in diesem Film quer durch die USA fahren, ist allerdings John Leguizamo. Daß sie von ihren beiden Reisegefährtinnen als „ein Junge im Kleid“ gehänselt wird, ist purer Neid. Swayze und Snipes sind zwar zuvor von einer New Yorker Jury zu „Drag Queens“ gekrönt und zur nationalen Endausscheidung nach Los Angeles geschickt worden, aber man weiß ja, wie das so ist mit Jury-Entscheidungen: Schüchterne Schönheiten haben da wenig Chancen gegenüber denen, die sich ins Scheinwerferlicht drängen.
Man weiß auch, wie das so ist mit Autofahrten quer durch Kontinente – spätestens seit dem australischen Film Priscilla (mit dem dieser Film übrigens weniger Ähnlichkeit hat, als zunächst zu vermuten wäre): Natürlich gibt es eine Autopanne, die die drei zu einem Wochenendaufenthalt in einem Provinznest zwingt. Eine harte Bewährungsprobe: Im Minirock über die Reeperbahn zu stöckeln ist heutzutage für einen Mann ja schon fast nichts besonderes mehr, aber in einem Dorf wie Snydersville – olala...
Bevor die Schauspieler diesen fiktiven Härtetest in Szene setzten, legten sie übrigens eine reale Reifeprüfung ab: Bei den Dreharbeiten für die Eröffnungsszene im New Yorker Nachtclub Webster Hall waren mehrere hundert authentische Transen beteiligt, die sich die Aktionen der Profischauspieler auf der Bühne ausgesprochen kritisch ansahen – und schließlich begeistert applaudierten. Tatsächlich ist die Hingabe, mit der Swayze, Snipes und Leguizamo ihre Rollen spielen, das Faszinierendste an diesem Film. Die Kleider erscheinen bei ihnen nie als Verkleidung, von der sie sich mit einem Augenzwinkern zum Publikum distanzieren müßten, sondern sind ein selbstverständlicher Ausdruck ihrer Persönlichkeit, der keine besondere Erklärung oder Legitimation mehr braucht.
Trotzdem wird an einer Stelle wieder die unvermeidliche Unterscheidung von Transsexuellen, Transvestiten und Tunten geliefert. Ist das wirklich so wichtig? Wozu entfernt man sich von hergebrachten Geschlechtsstereoty-pen, wenn man sich dann doch gleich wieder in neue Kategorien flüchtet?
Es sind nicht die einzigen Fragen, die am Ende dieses liebenswerten Films unbeantwortet bleiben: Wieso taucht Robin Williams, der neben vielen anderen Stars einen kurzen Gastauftritt hat, nirgends im Abspann auf? Und wer ist eigentlich Wong Foo? Ist aber auch nicht so wichtig. Mädchen – in welcher Variante auch immer – wollen Spaß. Und den gibt's reichlich.
Hans-Arthur Marsiske
Aladin, Alabama, Hansa, Kino-Center
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