piwik no script img

■ Frauen bürgen, unterschreiben oder nehmen für ihre Männer teure Bankkredite auf. Kommt das Unternehmen, die Werkstatt oder die Agentur nicht aus den roten Zahlen und muß Konkurs anmelden, haften die Frauen für die gesamten Schulden Von Annette Schmedt und Ursula HüheNur nicht aus Liebe bürgen

Es gibt sehr viele Frauen, die sich durch Bürgschaften oder Teilnahme an Kreditverträgen hoffnungslos verschulden und bis zu ihrem Lebensende mit einem millionenschweren Schuldenberg kämpfen. Aus Scham schweigen sie – und resignieren. Denn Hilfe gibt es von keiner Seite.

Hinter fast jedem Bankkredit eines Mannes steht die Bürgschaft einer Frau. „Das ist normal“, sagt ein Mitarbeiter einer Schuldnerberatungsstelle in Berlin. Die Bereitschaft von Frauen, innerhalb einer Ehe oder Liebesbeziehung für den anderen zu bürgen, im eigenen Namen einen Kredit für das Geschäft des Ehepartners aufzunehmen oder den Kreditvertrag mit zu unterschreiben, ist offenbar immer günstig. Auch wenn niemand genaue Zahlen kennt: Bei der gegenwärtigen Pleitewelle sind es schätzungsweise Zehntausende von Frauen, die durch den Konkurs ihrer Ehemänner oder Freunde finanziell mitverschuldet werden. Die meisten der Frauen jedoch schweigen aus Scham. „Es gibt hierfür keine Öffentlichkeit, kein Forum, das Thema ist tabu“, so eine der Betroffenen.

Die Frauen greifen jedoch nach jedem Strohhalm. Nur nebenbei habe er zu diesem Problem in der Talkshow „Schreinemarkers“ einen Halbsatz verloren, sagt Rechtsanwalt Otmar Bergmann von der Schuldnerberatungsstelle „Julateg“. „Ich wurde mit Briefen von betroffenen Frauen regelrecht überschüttet.“ Über 2.000 Frauen schilderten ihm ihre verzweifelte Lage. Auch bei einer Informationsveranstaltung zur Überschuldung, veranstaltet von der Berliner Schuldnerberatungsstelle „Julateg“, waren zwei Drittel der Anwesenden weiblich. Für die meisten Bankkredite ist ein Bürge erforderlich, bestätigt Gunter Knorr, Pressesprecher der Deutschen-Bank-Filiale in Berlin. Die Banken betonen jedoch, daß für einen Kredit wochen-, manchmal sogar monatelang geprüft und recheriert wird, ob das Unternehmenskonzept oder die Investition auch gewinnversprechend ist.

Was allerdings keine Garantie für den Erfolg ist. Warum lassen sich Frauen auf derartige finanzielle Abenteuer ein? „Oft können sie das Risiko nicht überschauen“, so Otmar Bergmann. Oder sie wissen nicht, daß sie mit ihrer Unterschrift für die gesamten Schulden haften, wenn das Unternehmen Konkurs anmelden muß und der Partner einfach abtaucht, weiß der Rechtsanwalt aus vielen Sprechstunden seiner Beratungsstelle.

Doch welche Frau wird sich verweigern, wenn der Kredit für die Arztpraxis ihres Mannes von ihrer Bürgschaft abhängig ist? Oder wenn der neue Laden die gemeinsame Existenz sichern soll? Und was ist, wenn ihr Geliebter zur Ausübung seiner Geschäftstätigkeit unbedingt ein repräsentatives Auto braucht? Würde eine Kritik an dem Begehren des Mannes nicht wie die Kündigung der Beziehung empfunden?

Die Entscheidung einer Frau, für ihren Mann zu bürgen, ist emotional so hochbesetzt, daß sie nur allzu schnell glauben möchte, es handele sich ja nur um eine reine Formsache – die Verantwortung trägt ja er. Das jedenfalls ist die durchgängige Botschaft von Männern, Banken und Kreditinstituten. Der Zweifel an seiner Liebe oder der Verdacht der Zechprellerei kommt gar nicht erst auf. Ängste werden schnell beiseite geschoben, nur um dem Mann zu „helfen“, mit dem sie zusammen sind.

Unterstützt sie ihn nicht, wird er sie vielleicht verlassen; hilft sie ihm, dann glaubt sie an ihn – und alles wird gut. „Ich hatte eigentlich keine andere Perspektive, meine eigene Lebensangst hinderte mich daran, an ein von ihm unabhängiges Leben zu denken“, so die stereotype Begründung vieler Frauen, weshalb sie ihren Lebensgefährten mit ihrer Unterschrift aushalfen.

Dabei ist die Unterschrift für eine Bankbürgschaft kein Spiel, aus dem man schnell wieder aussteigen kann. Das merken viele Frauen aber erst, wenn es zu spät ist. Angelika W. hatte vor vier Jahren für ihren Mann die Bürgschaft für einen Kredit von 800.000 Mark übernommen. Gemeinsam wollten sie ein Busunternehmen starten. Mit den finanziellen Schwierigkeiten kamen auch Probleme in der Partnerschaft. Er setzte sich ins Ausland ab. Sie war mit den Kindern gebunden und für Banken und Gläubiger greifbar. „Das ist eine kaum vorstellbarer Druck“, sagt Angelika W. Alle zwei Wochen stehe der Gerichtsvollzieher vor der Tür, und jeden zweiten Tag lägen diese gelben Karten (gerichtliche Mahnbescheide, d. Red.) im Briefkasten. Mit drei kleinen Kindern sitzt sie bis zu ihrem Lebensende auf einem Schuldenberg von über einer Million Mark.

Susanne K. beispielsweise belastete eine Immobilie, die sie von ihren Eltern geerbt hatte, mit einer Hypothek. Für eine gemeinsame Werbeagentur brauchten sie und ihr Mann eine halbe Million Mark. Die Agentur reüssierte am Markt nicht; die Ehe scheiterte. Er zog zu einer anderen Frau in eine andere Stadt. Die Bank kassierte das Haus – auf den restlichen Schulden blieb sie sitzen. „Davon habe ich mich bis heute nicht mehr erholt“, sagt die Betroffene.

Zerbricht nicht nur die Liebe, sondern geht auch das Unternehmen kaputt, werden die einmal gehegten Träume zu Alpträumen. Die betroffenen Frauen verlieren die Orientierung, werden sprachlos, können sich nicht mehr verständlich machen – wirken von den Belastungen regelrecht erdrückt. Das Schweigen zu brechen und endlich zu reden ist das größte Problem der Frauen. Denn sie schämen sich dafür, daß er sie verlassen hat, daß er zu einer anderen Frau gezogen ist, daß er einfach verschwunden ist, daß sie das neue Auto alleine abzahlen muß, daß sie durch den Konkurs ihr Erbe verloren hat.

Die Angst, sozial geächtet zu werden, da sie es nicht vermochte, das Unheil vorauszusehen oder es gar abzuwenden, läßt die Frauen isoliert zurück. Die negative Selbstbewertung legt sich lähmend auf ihre tägliche Verfassung und zeigt auch äußerlich den Abstieg und die Zerstörung. Sie verlieren nicht nur ihre Selbstachtung, sondern, entscheidend im Kampf mit den Banken, auch ihre Durchsetzungskraft.

Selbst wenn sie glaubt, es sei nun endlich vorbei, gibt es immer wieder Gläubiger, die auf Zahlung der Verbindlichkeiten bestehen. Sie ist dann schon so bis über beide Ohren verschuldet, daß sie ihren Kindern – wenn es sie gibt – außer Liebe nicht viel bieten kann. Selbst wenn sie eine qualifizierte Tätigkeit ausübt, wird ihr wegen der Schulden von ihrem Lohn so viel abgezogen, daß zum Leben nur der Sozialhilfesatz bleibt. Solche Frauen leben mit dem Wissen, daß sie ihr Lebtag lang im Schuldenturm sitzen bleiben werden: Eine Perspektive außerhalb der Schuldentilgung gibt es nur selten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen