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Franzosen sauer: „Chirac, Juppé – Lügner“

■ Der Aufruf zum Generalstreik im öffentlichen Dienst wurde gestern weitgehend befolgt

Paris (taz) – Der Ruf hallt vom Place de la République bis weit in die großen Boulevards hinein: „Chirac. Juppé – Lügner“. Zehntausende Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes sind an diesem sonnigen Dienstag unterwegs, um gegen die Politik von Präsident und Premierminister zu protestieren. Gegen die Einfrierungen ihrer Löhne, gegen die Einstellungsstopps, gegen die Umstrukturierungen ihrer Betriebe und gegen die Privatisierung. Alle Gewerkschaften gemeinsam haben zu dem 24stündigen Streik im öffentlichen Dienst aufgerufen, die große Mehrheit der angesprochenen fünf Millionen Franzosen folgte dem Aufruf. Erstmals seit neun Jahren haben sie – Chirac und Juppé sei's gedankt – diese Einigkeit zustande gebracht.

„So wie es ist, kann es nicht weitergehen“, sagt die beinahe 50jährige Krankenschwester aus der Banlieue. Nach über 26 Dienstjahren hat sie einen Spitzenlohn von 12.000 Francs erreicht, beinahe 3.400 Mark. Aber für die Nachfolgenden sieht es düster aus. Mehrere Schulen für Krankenschwestern wurden in den letzten Jahren geschlossen, neue Fachkräfte werden kaum noch eingestellt. Statt dessen holen sich die Krankenhäuser ungelernte Hilfskräfte, die täglich vier Stunden arbeiten und dafür umgerechnet 680 Mark im Monat bekommen.

Die beiden Sekretärinnen aus dem Rathaus einer Pariser Vorstadt haben erst vor ein paar Jahren angefangen. Ihr Einstiegslohn beträgt 4.800 Francs (ca. 1.300 Mark). Wenn sie die Aufnahmeprüfung zur Verbeamtung schaffen, können sie am Ende ihres Berufslebens auf 2.000 Mark im Monat kommen. Sind sie Privilegierte, wie Premierminister Juppé vor ein paar Tagen die Beamten genannt hat? Die beiden Frauen – in der Gewerkschaft CGT organisiert – lachen laut. „Wir essen Kartoffeln und Eier, um über die Runden zu kommen.“

Im Gegensatz zu den meisten ihrer europäischen Kollegen haben in Frankreich die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Streikrecht. Auch wenn ihnen pro Streiktag ein Dreißigstel des Monatslohns gestrichen wird, sind sie damit gegenüber den Beschäftigten der privaten Wirtschaft bevorteilt. Im öffentlichen Sektor arbeiten in Frankreich immerhin 23 Prozent der Beschäftigten. Wenn ihr Streik erfolgreich ist, hat das Signalwirkung für den Rest der Wirtschaft.

Für die Regierung wird die Aktion in jedem Fall Folgen haben: Entweder sie bleibt hart – dann wird der nächste Streik nicht lange auf sich warten lassen. Oder sie gibt den Gewerkschaften nach – dann kann sie das Haushaltsdefizit nicht reduzieren und verpaßt die europäische Währungsunion. Dorothea Hahn

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