Französisches Fernsehen: Selbstmord nach Reality-Show
Vor Fernsehkameras sollten 20 TeilnehmerInnen – alle gebunden – sich nach Strich und Faden verführen. Nach dem Selbstmord eines Teilnehmers wurde die Reality-Show nun abgesetzt.
PARIS taz | Es sollte eine sommerliche Fernsehserie mit einem anmachenden, Sex und Spannung versprechenden Titel sein. Doch am Mittwoch wurde "Trompe-moi si tu peux!" (Betrüg mich, wenn du kannst!) kurz vor dem ersten Sendetermin aus dem Programm des französischen Senders M6 gestrichen und durch die US-Produktion "Bones" ersetzt. Der Grund für diese Programmänderung ist der Selbstmord eines Teilnehmers im Anschluss an die Reality-Show, die im vorsätzlichen Spiel mit Treue und Lust neue Maßstäbe setzen und bisherige Grenzen überschreiten wollte.
Der 32-jährige Jean-Pierre, von seinen Freunden "Jipé" genannt, wurde zu Wochenbeginn tot aufgefunden. Nach Angaben der ermittelnden Polizeibehörden handelt es sich um einen Suizid. Vor seinem Tod hatte Jipé auf seinem Anrufbeantworter eine Art Abschiedsbotschaft aufgenommen, in der er seinem Freund Hakim (25) die Schuld am Entschluss gibt, aus dem Leben zu scheiden. Die beiden hatten vor rund zwei Monaten zusammen als Paar an "Trompe-moi si tu peux!" mitgewirkt und sich zerstritten.
Das Konzept war einfach: Vor den Fernsehkameras sollten 20 attraktive Teilnehmer und Teilnehmerinnen sich nach Strich und Faden verführen und beim Flirt so weit gehen wie nur möglich. Das Publikum sollte nur wissen, dass es sich um zehn feste Paare handelt - wer vor der Sendung mit wem zusammen war, sollte allerdings erst im Verlauf vom "Trompe-moi …" aufgedeckt werden. Jedes Paar, das von den Zuschauern wegen Eifersuchtsszenen oder allzu großer Vertraulichkeit entlarvt würde, sollte dann ausscheiden.
Den zuletzt verbleibenden Gewinnern winkte ein Preisgeld von 39.000 Euro. Die beiden Homosexuellen Jipé und Hakim sowie ein lesbisches Paar waren von den Programmverantwortlichen ausgewählt worden, um zusätzliche Würze in die Suche nach den Duos zu bringen und die ganze Sache zusätzlich zu verkomplizieren.
In einem Jingle war die Rede vom "unglaublichsten Spiel, das je für das französische Fernsehen geschaffen wurde". Es sollte alles überbieten, was das Publikum aus "Secret Story", "Big Brother" und ähnlichen Shows bisher kannte. Ein "Teaser"-Video von M6 fand sich noch nach dem Bekanntwerden des Suizids im Internet.
Der Sender M6 und die Produktionsgesellschaft Studio89 bestreiten nun, dass irgendein Zusammenhang zwischen "Trompe-moi …" und dem Suizid bestehe. Florence Duhayot, Generaldirektorin von Studio89, erklärte: "Nichts deutete vor, während und nach der Produktion der Sendung auf eine solche Tragödie hin." Jetzt werde aber aus Respekt für die Trauer der Angehörigen des Verstorbenen die ganze Serie aus dem Programm von M6 genommen. Zuvor hatte schon RTL Belgien auf eine Ausstrahlung verzichtet, weil das Spiel mit der Verführung und Moral den Grundsätzen des Senders zuwiderlaufe.
Der Fall wirft in Frankreich nun erneut die Frage auf, wie weit Reality-Shows mit dem wirklichen Leben ihrer Teilnehmer zum Vergnügen und Nervenkitzel der Zuschauer spielen können oder dürfen. Der Sender TF1 hat aus Angst vor ausrastenden Mitwirkenden bei solchen Sendungen bereits eine Psychologin als Coach engagiert.
In den USA gab es bereits mehrere Selbstmordfälle bei oder nach Reality-Shows. So sprang der 25-jährige Nathan C. kurz nach Abschluss der Dreharbeiten der Serie "Paradise Hotel 2" von einem Telefonmast in den Tod. Anders als "Trompe-moi si tu peux!" wurde "Paradise Hotel 2" damals dennoch gesendet - nur auf die bereits gedrehten Szenen mit Nathan C. wurde verzichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos