piwik no script img

Franziska Drohsel will Chefin werdenDie neue linke Macht der Jusos

Führungswechsel bei der SPD-Jugend: Franziska Drohsel kandidiert an diesem Wochenende für die Nachfolge von Juso-Chef Björn Böhning.

Politik "nicht alles": Jura-Doktorandin Franziska Drohsel Bild: SPD

Eigentlich müsste sie für die Atombombe dankbar sein. Denn ohne die Horrorwaffe wäre Franziska Drohsel womöglich gar nicht zu den Jusos gelangt, der SPD-Jugend, deren Chefin sie an diesem Wochenende werden will. Eine Schülergruppe des Verbands inspirierte sie 1995 zum Mitmachen - auf einer Demo gegen die französischen Nukleartests auf dem Mururoa-Atoll.

Seit nunmehr 12 Jahren engagiert sich die Jura-Doktorandin bei den Jusos. Noch führt die 27-Jährige den Berliner Landesverband. Doch die Chancen, dass Drohsel auf dem Bundeskongress in Wolfsburg die Nachfolge von Björn Böhning antritt, stehen gut. Gegenkandidaten gibt es keine, zudem hat sie zum scheidenden Jusochef seit Jahren einen sehr engen Draht. Trotzdem hat man nicht den Eindruck, der Vorsitz bliebe gewissermaßen in der Familie. Drohsels Auftreten ist ein Mix aus natürlichem Selbstbewusstsein, souveräner Argumentation, erfrischender Jugendlichkeit und einer spürbaren Distanz zum politischen Betrieb. Auf die Frage, welchen Stellenwert Politik für sie habe, antwortet sie salopp: "Schon n hohen, aber ist nicht alles." Es ist diese gesunde Kombination, die manche Jusos bei den stets geschliffen, ja geradezu staatstragend agierenden Vorgängern Böhning und Niels Annen vermissten.

Drohsel ist links. Ziemlich links muss sie sein, wenn sie sich offen zur Mitgliedschaft in der "Roten Hilfe" bekennt, einer vom Verfassungsschutz beobachteten Solidaritätsorganisation für politisch Verfolgte. Das hindert die Kreuzbergerin nicht daran, Teilen der Linken einen "simplen Antiamerikanismus" vorzuhalten und sie zu ermahnen, in Bezug auf Israel "auf die Argumentation aufzupassen".

"Wenn es um eine inhaltlich gute Sache geht", erzählt sie, werde sie kämpferisch. Gute Sachen, das sind für Drohsel vor allem der Kampf gegen rechts, die Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit. Die Agenda 2010 war für sie "ein Schock", den Linksschwenk der SPD begrüßt sie, "wenn er denn weitergeht". Darauf will sie drängen.

Die Jusos glauben wieder an sich. Jahrelang hatten die Jungsozialisten sich durch teils aus Prinzip betriebene Richtungskämpfe selbst neutralisiert. Vergessen sind die Zeiten nicht, in denen Gerhard Schröder die Jusos als "kleine, unwichtige Arbeitsgemeinschaft" bezeichnete - aber sie scheinen vorüber.

Der Mitgliederschwund ist gestoppt, die Trendwende geschafft. Böhning, der den Vorsitz nach dreieinhalb Jahren aufgibt, bezeichnet seinen Verband gern als den "kampagnenfähigsten Teil der SPD". Dass Themen wie Mindestlohn oder Kinderarmut inzwischen ganz oben auf der SPD-Agenda stehen, ist in der Tat nicht zuletzt der Hartnäckigkeit der Jusos zu verdanken und einer hervorragenden Vernetzung in den linken Flügel der Mutterpartei. Mit der Ex-Juso-Chefin Andrea Nahles hat man eine wichtige Verbündete in der SPD-Spitze, Böhning ist die rechte Hand von Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit. Das neue Selbstbewusstsein dürfte auch Parteichef Kurt Beck zu spüren bekommen. Ebenso wie Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier kommt er als Gastredner nach Wolfsburg.

Mit Drohsel dürfte der Verband noch einmal nach links rücken. Dass sie verstanden hat, wie das Geschäft funktioniert, konnte man auf dem SPD-Parteitag in Hamburg beobachten. Routiniert wuselte sie da durch die Ränge der Delegierten, um eine Mehrheit für den Berliner Antrag zu organisieren, der die Bahnreform kippen sollte. Nebenbei hielt sie zwei Reden: für ein NPD-Verbot und gegen die Beteiligung am Antiterroreinsatz OEF in Afghanistan.

Wenn sie spricht, klingt sie ein wenig wie Kurt Beck. Der will "näher an den Menschen" sein, genau wie sie. Drohsel will ihren "Verband öffnen", ihn stärker mit außerparlamentarischen Gruppen verzahnen. Vom Vorwurf, die Jugend sei unpolitisch, hält sie nichts: "Die Mehrheit denkt links." Und die will sie abholen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!