Franz Walter über Hamburg: "Eine Koalition aus zwei Verlierern ist immer schwierig"
In der Parteienlandschaft stabilisiert sich die Linke zum festen Faktor, doch ihr Aufstieg hat Grenzen, meint der Göttinger Parteienforscher Franz Walter.
taz: Herr Walter, die Linke hat es aus dem Stand in die Bürgerschaft geschafft. Ist sie die klare Siegerin der Hamburg-Wahl?
Franz Walter: Das kommt auf den Bezugsrahmen an. Verglichen mit der Lage der Linken vor zwei, drei Jahren, ist ihr Hamburg-Ergebnis tatsächlich ein Erfolg. Doch durch die Diskussionen der vergangenen Wochen über Liechtenstein, Steuerhinterziehung und Managermoral schien wesentlich mehr drin zu sein, als sie jetzt erreicht hat. Die Linke stabilisiert sich zu einem festen Faktor, doch ihr Aufstieg hat Grenzen.
Auch das Verhältnis der Linken zur DKP und zu peinlichen Stasi-Äußerungen schlägt sich im Ergebnis kaum nieder.
Wahlverhalten baut sich über lange Zeit auf. Politische Ereignisse, die sich in grellen Zeitungsschlagzeilen spiegeln, machen sich keineswegs durch erratische Ausschläge im Wählerverhalten bemerkbar. Die meisten Menschen bekommen solche Diskussion im Detail gar nicht mit, sie arbeiten, kaufen ein und schauen abends einen Unterhaltungsfilm. Der Zumwinkel- oder der DKP-Effekt fällt also geringer aus, als Journalisten gemeinhin annehmen.
SPD-Chef Beck hat in einem Hintergrundgespräch darüber sinniert, wie sich das Hessen-Patt mit Hilfe der Linken auflösen ließe. Ein peinlicher Patzer oder - im Nachhinein - ein geradezu visionärer Schachzug?
Auch in Hamburg scheint es eine arithmetische Mehrheit für SPD, Grüne und Linke zu geben. Beck kann nun mit dieser Mehrheit politisch zumindest in Hessen arbeiten, er hat der SPD Spielraum verschafft - selbst wenn es nicht zu dieser Option kommt.
Muss die SPD nach Hamburg endgültig ernsthaft über eine Zusammenarbeit mit der Linken nachdenken?
Das Verhalten der SPD mutet bisher verdruckst an. Umfragen haben deutlich gemacht, dass vier Fünftel der Deutschen keineswegs eine Kooperation mit der Linken gänzlich ablehnen. Die Linke sitzt in zehn Parlamenten, sie ist nach der Zahl ihrer Mitglieder die drittstärkste Partei im Land. Mit solch einem Faktor muss die SPD ernsthaft umgehen, sie darf nicht infantil in ihrer Haltung verharren, sie allein sei die Mutter der Arbeiterbewegung.
Wird nun auch in Hessen Bewegung ins Spiel kommen?
Da bin ich sicher. Die große Angst der Parteien in Hessen ist es, als Umfaller zu gelten. Das halte ich für überschätzt. Die Bürger erwarten von der politischen Elite Handlungsfähigkeit. Allerdings nur unter einer Bedingung: Die Optionen müssen offen erörtert und gut begründet werden. Von einem solchen Vorgehen ist die SPD allerdings noch weit entfernt, bei ihr sehen die Überlegungen in Richtung Linke eher wie Taschenspielertricks aus.
Was bedeutet ein neuer Umgang mit der Linken für die große Koalition im Bund?
Die CDU kann rechnen. Wenn sie glaubt, dass es eine riesige Empörung in der Bevölkerung über Rot-Rot-Grün in einem Land gibt, wenn sie glaubt, trotz Diskussionen über soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsethik mit der FDP einen Lagerwahlkampf gewinnen zu können, wird sie Neuwahlen riskieren. Ansonsten wird es nur Theaterdonner geben - was, auf lange Sicht, zu noch mehr Politikverdrossenheit führt. Ich glaube eher an die zweite Version.
Ihr Tipp: Werden wir in Hamburg die erste schwarz-grüne Koalition in einem Bundesland erleben?
Was dagegen spricht: Union und Grüne haben beide verloren, ihre Balken in den Schaubildern gehen deutlich nach unten. Eine Koalition aus zwei Verlierern ist immer schwierig, zumal diese Bündnisvariante bei der Grünen-Anhängerschaft sehr unbeliebt ist. Andererseits ist nicht zu leugnen, dass die Lebenslagen der christdemokratischen und der grünen Kerngruppen eng beieinanderliegen. Ole von Beust wird sicher mit den Grünen verhandeln. Haben die Grünen Mut zur geistigen Unabhängigkeit und Komplexität, dann werden sie sich in Hessen nicht vor der Linkspartei ängstigen und es in Hamburg mit den Schwarzen riskieren.
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