: Frankreichs Strom wird knapp
Stromengpässe im Winter? / Trockenheit und technische Probleme lassen Überkapazitäten schrumpfen / 'Öko-Briefe‘ veröffentlichen internes EdF-Papier ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Trotz enormer formaler Stromüberkapazitäten steht Frankreich im kommenden Winter vor bedrohlichen Versorgungsengpässen und möglicherweise drastischen Notmaßnahmen. Langanhaltende Trockenheit, technische Probleme zahlreicher Atomkraftwerke, fehlerhafte Verbrauchsprognosen und mangelnde Kohlereserven haben den staatlichen französischen Strommonopolisten Electricite de France (EdF), der eigentlich in den kommenden Jahren halb Europa mit Atomstrom überschwemmen will, in eine dramatische Situation manövriert. Das geht aus einem vertraulichen internen „Alarmruf“ des Staatskonzerns vom 21. August hervor, den die in Frankfurt erscheinenden 'Ökologischen Briefe‘ in ihrer aktuellen Ausgabe dokumentieren.
Die Versorgungssituation wird sich zuspitzen, sollte es im bevorstehenden Winter außergewöhnlich kalt werden. „Eine solche Lage würde es erfordern“, drohen die Autoren J. P. Matha und D. Beny aus der EdF-Zentrale, „EJP auszulösen (das heißt Stromabschaltungen bei Kunden mit ermäßigten Tarifen, deren Stromversorgung zu Spitzenlastzeiten und im Notfall unterbrochen wird, d.Red.), Verträge mit den ausländischen Partnern zu löschen und kurzfristige Zukäufe zu tätigen, um eine knapp ausreichende Reserve zu halten“.
Die prekäre Versorgungslage im Vorzeigeland der internationalen Atomgemeinde erweist sich als Resultat eines ganzen Bündels von Ursachen. Die andauernd niedrigen Wasserstände dieses Jahres haben direkt an der Stromproduktion aus Fortsetzung auf Seite 2
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Wasserkraft geknabbert und gleichzeitig die Atomstromproduktion erheblich belastet. Die Stauseen zur Deckung des Spitzenbedarfs waren Anfang August statt wie normal zu 80 nur zu 68 Prozent gefüllt. „Unzureichende Flußwassermengen und ihre erhöhte Temperatur“, heißt es in der EdF-Analyse, „machen es... erforderlich, die Produktion der thermischen Karftwerke, insbesondere der Kernkraftwerke zu senken oder den Betriebsstillstand zu verlängern“. Zusätzliche technische Probleme haben die außerplanmäßige Stillstandzeit des französischen Reaktorarsenals seit Herbst 1988 auf 100 „Reaktorbetriebswochen“ anschwellen lassen. Allein auf diese Weise entstand ein Stromfehlbe
trag, mit dem die Metropole Paris weit über ein Jahr lang hätte versorgt werden können.
Insbesondere um die Exportverträge mit den ausländischen Kunden einzuhalten, mußte EdF schon in den Sommermonaten dreimal mehr Strom in Kohlekraftwerken produzieren als vor Jahresfrist. Im Winter könnte es nun an Importkohle mangeln. Die wird dringend gebraucht, weil in Frankreich die Stromheizung privater Haushalte in den vergangenen Jahren sprunghaft zugenommen hat und nach Angaben der „ökologischen Briefe“ inzwischen bei 30 Prozent liegt.
EdF hat bereits beschlossen, „keine kurzfristigen Verkaufsangebote an die ausländischen Partner mehr zu tätigen und die Lieferungen nach England ab September auf 1.500 Megawatt zu beschränken“. Außerdem wollen sich die Stromplaner „die wenigen noch verbleibenden Möglichkeiten der Aussetzung von Exportverträgen“ offenhalten.
Die Autoren des Papiers nennen die Situation selbst „paradox“. Seit Jahren werden innerhalb und außerhalb des Landes die gewaltigen Überkapazitäten beklagt, die der Strommonopolist in seinen AKWs hortet. Gleichzeitig wird jedoch die Produktivität der einzelnen Anlagen immer geringer. Laut „Ökologischen Briefen“ liefert ein finnisches AKW pro installiertem Kilowatt 62 Prozent und ein bundesdeutsches 22 Prozent mehr Strom als ein französisches. Die Krise trifft den Staatskonzern an seiner empfindlichsten Stelle: Mit Profiten aus dem ab 1993 geöffneten großen europäischen Strommarkt hofft man, den mit dem überdimensionierten Atomprogramm angehäuften Schuldenberg ein Stück weit abbauen zu können.
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