piwik no script img

Frankreichs Grüne wollen sich treu bleiben

Sie wollen regieren und werden dabei nicht glücklich: Vier Tage lang diskutierten die französischen Grünen die Perspektiven vor dem Wahljahr 2002

PARIS taz ■ Lamoura, wo die französischen Grünen gestern ihre alljährliche Sommeruniversität abschlossen, liegt fernab von der nächsten Bahnstation in einem der schönsten Alpentäler des Landes. Wer zuhören wollte, brauchte ein Auto.

Vier Tage lang diskutierte die französische Ökopartei über ihre Perspektiven für das kommende Jahr, in dem die Franzosen einen neuen Staatspräsidenten sowie ein neues Parlament wählen. 1.500 Mitglieder der „Verts“ waren gekommen, verstärkt durch die Spitzen der anderen linken Parteien, mit denen gemeinsam sie seit mehr als vier Jahren in der französischen Regierung sitzen. Einen Korb gab ihnen hingegen der im Programm angekündigte Joschka Fischer, der für eine Podiumsdiskussion über die Zukunft der EU vorgesehen war.

Fischer hat sich damit manches erspart. Denn in Lamoura diskutierten die französischen Grünen täglich mindestens einmal über die Probleme der Globalisierung und über ihre engen Kontakte zu den dagegen engagierten sozialen Bewegungen. Veranstalteten Theaterworkshops darüber, wie grüne PolitikerInnen trotz Regierungsbeteiligung ihren ökologischen und politischen Idealen treu bleiben können. Und droschen heftig und gnadenlos auf die rot-rosa-grüne Regierung in Paris ein. Dominique Voynet persönlich, die bis zum Sommerbeginn grüne Umweltministerin war und dann zurücktrat, um die Parteiführung bei den „Verts“ zu übernehmen, sprach selbstkritisch von einer „durchwachsenen Bilanz“. Es habe „gewagte Fortschritte“ gegeben, sagte sie und zählte die Einführung der 35-Stunden-Woche, die Homoehe und den gesetzlichen Weg der politischen Parität zwischen Männern und Frauen auf. Im nächsten Satz sprach sie von den „Wunden“, die in der Regierungsbilanz klafften, darunter die halbherzige Regularisierung von Papierlosen und den Einsatz von genmanipulierten Pflanzen.

Eine neue Kröte mutete Regierungschef Lionel Jospin den Grünen am Auftaktabend ihrer Sommeruniversität zu. Da zog er bei seinem ersten TV-Auftritt nach der Sommerpause die von den Grünen verlangten Öko-Steuern zurück – sie seien „inopportun“. In Lamoura tröstete es wenig, dass der Sozialdemokrat bei derselben Gelegenheit die Einführung der „Tobin-Steuer“ auf Spekulationsgewinne anregte. Das hatte er schon Mitte der 90er-Jahre getan. Damals war auch gerade Wahlkampf.

Seit jener Zeit haben die französischen Grünen an politischem Gewicht gewonnen. Bei den Kommunalwahlen im März brachten sie es stellenweise auf über 20 Prozent der Stimmen. Parallel dazu verdoppelte sich beinahe die Zahl ihrer Mitglieder. Heute sind es rund 10.000.

Ihr Anspruch ist eindeutig: Sie wollen die zweite Kraft der französischen Linken werden – vor den Kommunisten. Von der PS verlangen die „Verts“, dass die ihnen bei den kommenden Parlamentswahlen 140 der 577 Wahlkreise im Land überlässt. Parteichefin Voynet nennt das „angemessen“. Von derlei Poker will die große PS nichts wissen. Parteichef François Hollande, der in Lamoura minutenlang ausgepfiffen wurde, wies zwar jegliche Hegemonialansprüche seiner Partei gegenüber den anderen Regierungsparteien von sich, doch aus seinem Umfeld hieß es, die Grünen bekämen „maximal“ 40 bis 50 Wahlkreise.

Ob die Ökopartei davon viele gewinnen könnte, ist gegenwärtig fraglich. Nicht nur, weil sich bei den französischen Rechten konkurrierende ökologische Formationen bilden, sondern vor allem, weil aus dem Inneren der „Verts“ eine verwirrende Kakophonie ertönt. Der Streit über die „richtige“ Korsika-Politik etwa ging auch in Lamoura weiter, genau wie die Debatte darum, ob der gegen einen Realo gewählte linke Traditionsgrüne Alain Lipietz eigentlich der richtige Kandidat sei. Kein Wunder also, dass Parteichefin Voynet in Lamoura eindringlich an die Delegierten appellierte: „Wir müssen mit einer Stimme sprechen, sonst haben wir keine Chance“.

DOROTHEA HAHN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen