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Frankreichs Eliteschmiede wird 200 Jahre alt

■ Erst seit 1972 dürfen an der École Polytechnique auch Frauen lernen / Seit der Revolution produziert die „X“ Politiker, Ingenieure und Militärs

Paris (taz) – Der ehemalige Staatspräsident und der Konzernchef, der Bankdirektor und der Nobelpreisträger – 58 Spitzenkräfte Frankreichs produzierten gemeinsam die gestrige Ausgabe der Wirtschaftszeitung les Echos. Die Promis schrieben über tagesaktuelle Themen – von Balladur bis Eurodisneyland – und über französische Dauerbrenner wie die Arbeitslosigkeit. Zum Computer hatten sie gegriffen, weil die Schmiede, aus der sie alle stammen, Geburtstag feiert: Die École Polytechnique wird 200.

Als „X“ – „x“, wie zwei gekreuzte Kanonenrohre – ist die Schule bekannt. Gegründet wurde die „X“ am 11.März 1794, um die Experten zur Verteidigung der Revolution auszubilden; Napoleon wollte seine eigene Elite heranzüchten, die nur dem Wohl des französischen Staates und keiner anderen Obrigkeit dienen sollte.

Zwei Jahrhunderte später kann die „X“ eine lange Liste von Berühmtheiten unter ihren 50.000 AbsolventInnen verweisen. Die Besten jedes Jahrganges gingen – und gehen – in die Spitzen der französischen Verwaltung und Politik. Seine Kriege bestritt Frankreich vornehmlich mit Generälen, die an der „X“ gelernt hatten. Und alle Regierungen der (gegenwärtigen) Fünften Republik zählen „X“-AbsolventInnen in ihrer Mitte. „X“-Absolventen bestimmen, wo Frankreich seine AKWs baut, welche Raketen es aufstellt und wie die Autobahnen aussehen. Die „X“ ist auch dafür verantwortlich, daß Verkehrsrondelle, Wassertürme und Hochhaussiedlungen landesweit gleich aussehen.

Wer an die „X“ will, muß vor allem büffeln. Die Schule nimmt jährlich 300 AnfängerInnen zwischen 17 und 22 Jahren auf, die in einem Wettbewerb ausgewählt werden, für den es Extra-Vorbereitungskurse gibt, die allein schon zwei Jahre dauern. Die meisten BewerberInnen scheitern an dieser Hürde. Wer sie nimmt, darf sich als Teil der künftigen Elite Frankreichs betrachten. Denn wer einmal aufgenommen ist, schafft drei Jahre später auch den Abschluß. „Warum sollten wir sonst so ein aufwendiges Auswahlverfahren machen?“ sagt Schuldirektor General Marescau.

Oberste Aufsicht – und Finanzquelle – für die „X“ ist auch heute noch das Verteidigungsministerium. Von dort bekommen die SchülerInnen den monatlichen Sold von 2.000 bis 3.000 Mark, der ihnen ein bequemes Auskommen sichert. Vom Verteidigungsministerium erhalten sie auch die militärische Ausbildung, die das ganze erste Schuljahr in Anspruch nimmt, und den Dienstgrad von Leutnants (wie lautet die weibliche Dienstgradbezeichnung?)

Vor 20 Jahren ist die Schule aus dem Pariser Stadtzentrum in eine Parkanlage 30 Kilometer westlich der Stadt umgezogen. Auf dem Gelände können die SchülerInnen Golf spielen, surfen (die „X“ hat einen eigenen Kunstsee) und reiten. Dort liegen auch einige der angesehensten französischen Forschungslabors und arbeiten einige der international renommiertesten Geisteswissenschaftler. Die SchülerInnen – darunter neuerdings auch rund ein Dutzend AusländerInnen – sollen auf der „X“ zu GeneralistInnen werden. Sie sollen in der Lage sein, in möglichst vielen Bereichen mitzureden. Die Spezialausbildung erhalten sie in den Jahren nach der „X“.

Gegen anfänglich heftige Widerstände der Alte-Herren-Clubs sind seit 1972 auch Frauen zur Ausbildung zugelassen. Aber ihr Anteil liegt konstant bei 10 Prozent jedes Jahrgangs. Das war auch bei den JournalistInnen für einen Tag nicht anders: Neben den 57 männlichen Spitzenkräften war nur eine weibliche Ehemalige an der Sondernummer von les Echos beteiligt: Und während ihre männlichen Kollegen in Wirtschaft und Politik gelandet sind, arbeitet Catherine Lucet ganz solide in einem Buchverlag. Dorothea Hahn

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