Frankreichs 35-Stunden-Woche schafft keine Arbeitsplätze: Ein großer Bluff
Die Arbeitszeit von 39 auf 35 Wochenstunden verkürzen und dabei den vollen Lohn behalten? Das klingt nach weniger Arbeit und mehr Lebensqualität, nach weniger Überstunden für die Überarbeiteten und mehr Beschäftigung für die Arbeitslosen – eben so sozial verträglich, wie es von einer rot-rosa-grünen Regierung zu erwarten wäre. Und just mit solchen Argumenten hatte die linke Koalitionsregierung in Frankreich ihr Projekt beim Amtsantritt auch angekündigt. Das war vor zweieinhalb Jahren, als Frankreich über drei Millionen Arbeitslose zählte, sorgte für Enthusiasmus bei den Beschäftigten – und für helle Aufregung bei den Patrons.
Letztere war unnötig – von den vollmundigen Versprechungen der Regierung ist mittlerweile nicht einmal mehr der Name übrig geblieben: Statt von der „35-Stunden-Woche“ spricht das Gesetz nur von „Arbeitszeitverkürzung“ – und das ist angemessen, weil es darin nicht mehr um die in vielen Jahrzehnten erkämpfte, allmählich gesenkte und tarifvertraglich gesicherte Wochenarbeitszeit geht, sondern um eine Jahresarbeitszeit. Die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung, die in Betrieben über 20 Beschäftigte ab 1. Januar 2000 und in kleineren Unternehmen zum 1. Januar 2002 eingeführt sein muss, ist so vage gefasst, dass ihre Umsetzung von den Verhandlungen in den einzelnen Wirtschaftszweigen und Betrieben abhängt. Das führt dazu, dass in jenen seltenen Großbetrieben, in denen die Gewerkschaften stark sind, die Arbeitszeitverkürzung tatsächlich bereits jetzt zu massiven Neueinstellungen und sozialen Verbesserungen geführt hat. Und dass überall dort, wo die Gewerkschaften schwach sind, die Patrons die Arbeitszeitverkürzung nutzen, um tarifvertragliche Verpflichtungen über Bord zu werfen.
Dabei schwinden bezahlte Pipi- und Umzugspausen, purzeln Samstags- und Sonntagszuschläge, tauchen Urlaubs- und Überstundenregelungen ab. Die Beschäftigten müssen ihr Leben verstärkt nach einer „modernen neuen Arbeitsorganisation“ richten, die sie verpflichtet, in „Stoßzeiten“ weit über 35 Wochenstunden zu arbeiten und bei weniger Andrang stundenlange, unbezahlte Pausen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu machen. Im Handel und anderen Bereichen, wo viele Frauen arbeiten und Niedriglöhne gezahlt werden, hat das bereits bis heute zu einer dramatischen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und einer enormen Intensivierung der Arbeit geführt – ohne dabei zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Dorothea Hahn
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