Frankreich: Afrikaner campen vor Pariser Börse
Wohnungslose haben mitten in der französischen Hauptstadt ein Lager errichtet. Sie fordern eine Sozialwohnung. Doch billiger Wohnraum hat bei Präsident Sarkozy keine Priorität.
"Leider können wir Ihnen im Augenblick keine Wohnung anbieten. Aber wir werden Ihren Antrag behalten." Diese Sätze hat Diara dutzende Male gehört: Auf dem Rathaus, beim Präfekten, beim Sozialamt. Aber eine Wohnung hat die 30-jährige Mauretanierin immer noch nicht. Seit drei Jahren haust sie mit Mann und vier Kindern in einem Hotelzimmer im Osten von Paris. Der winzige Raum ohne Kochgelegenheit kostet die Familie 800 Euro Miete. Der Staat zahlt 1.420 Euro dazu.
Weil nichts passiert, ist die junge Frau auf die Straße gezogen. Seit Mittwoch vergangener Woche "wohnt" sie auf einem Trottoir im schicken 2. Pariser Arrondissement. Zusammen mit 150 anderen Wohnungslosen hat sie ein provisorisches Lager im Bankenviertel eingerichtet. Diara hat ihr jüngstes Kind, die 18-monatige Marie, dabei. Gemeinsam schlafen sie unter der Hausnummer 21 rue de la Banque. Wenige Meter vom Haupteingang zur französischen Börse entfernt. Die TrottoirbesetzerInnen wollen auf der Straße bleiben, bis sie eine Sozialwohnung erhalten. Es sind mehrheitlich Frauen. Ihre Männer, von denen viele in Putzkolonnen arbeiten, und ihre größeren Kinder haben sie in ihren Hotelzimmern und winzigen Wohnungen zurückgelassen. Die meisten TrottoirbesetzerInnen stammen aus Afrika. Sie leben seit Jahren legal in Frankreich, haben aber nie angemessenen Wohnraum gefunden.
Seit dem Beginn der Aktion haben sich chinesische, polnische und französische TrottoirbesetzerInnen zu ihnen gesellt. Seit die Polizei in der Nacht zu Freitag die Zelte beschlagnahmt hat, schlafen die TrottoirbesetzerInnen unter freiem Himmel. Sie liegen auf Plastikplanen, Wolldecken und Schlafsäcken. "Wir haben keine Wahl", erklärt Diara, "wir müssen irgendetwas tun. Andere haben mit solchen Aktionen schließlich eine Wohnung bekommen."
Ein Dreivierteljahr nachdem Obdachlose ihre Zelte längs des Canal Saint Martin im Pariser Osten aufgeschlagen haben, zeigt die Trottoirbesetzung, dass die Wohnungsmisere in Frankreich unverändert groß ist. "Es gibt zweieinhalb Millionen schlecht Wohnende in Frankreich", sagt Jean-Baptiste Eyraud. Der Sprecher der Bürgerinitiative "Droit au logement" (Recht auf Wohnung) begleitet die Trottoirbesetzung. Sein "Büro" liegt in einem Erdgeschoss an einem Eckhaus der rue de la Banque. Das Haus war früher eine Bank. Seit letzten Dezember ist es vom "Droit au logement" und anderen Bürgerinitiativen besetzt. An der Fassade flattern Transparente, die mit der architektonischen Harmonie des Stadtteils brechen. "Ein Dach ist ein Recht" steht auf einem davon. Auf einem anderen sind zwei wichtige Werkzeuge von HausbesetzerInnen zu sehen: Schlüssel und ein Brecheisen. Nachdem die ehemalige Bank besetzt war, hat die Stadt Paris das Gebäude aufgekauft. Künftig sollen hier Sozialwohnungen entstehen.
"Wir wollen die Regierung verpflichten, zu handeln", erklärt Eyraud die Aktion auf dem Trottoir. Seine und andere Organisationen prangern seit Jahren die Wohnungsmisere an. Verbessert habe sich bislang trotz aller Zusagen "überhaupt nichts", sagt Eyraud. Im Gegenteil: Die Wohnungsspekulation nehme zu. Und die Zahl ihrer Opfer, die sich auf der Straße oder in Billighotels wiederfinden, wachse ständig. Der neue Staatspräsident Nicolas Sarkozy war früher Bürgermeister von Neuilly, der französischen Gemeinde mit dem geringsten Anteil an Sozialwohnungen. Auch als Staatspräsident ist der soziale Wohnungsbau nicht seine Priorität. Sarkozy möchte die Franzosen zu einem "Volk von Wohnungseigentümern" machen.
Für Eyraud ist damit neue Gefahr im Verzug: "Die unteren Einkommensgruppen werden sich mit Wohnungskäufen auf Jahrzehnte hinaus verschulden." Eyraud setzt stattdessen auf Obergrenzen für Wohnungsmieten, auf Steuern für spekulative Gewinne mit Wohnungen. Und auf Trottoirbesetzungen mitten im Pariser Bankenviertel.
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