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Frankreich wird 35-Stunden-Lokomotive

■ Jospins Ankündigung einer gesetzlichen Arbeitszeitverkürzung positiv aufgenommen

Paris (taz) – „Wir sind betrogen worden“, schnaubte der Präsident des französischen Arbeitgeberverbandes CNPF, Jean Gandois, am Ende der nationalen Beschäftigungskonferenz wütend in die Mikrofone und kündigte an: „Der Krieg ist noch nicht verloren.“ Dann trat der Chef der stärksten französischen Gewerkschaft, der exkommunistischen CGT, Louis Viannet, lächelnd auf die oberste Stufe vor dem Sitz des französischen Premierministers. „Es gibt positive Ergebnisse“, ließ er wissen.

Zehn Stunden lang hatten die Vertreter der großen Gewerkschaften mit denen der Unternehmer und mittelständischen Betriebe und drei MinisterInnen und Premierminister Lionel Jospin verhandelt. Das Ergebnis stand schon vorher fest. Arbeitsministerin Martine Aubry hatte es in Vorbereitungsgesprächen allen Spitzenteilnehmern vorab erklärt: Anfang nächsten Jahres wird das französische Parlament – in dem die Regierungsparteien über eine solide Mehrheit verfügen – über ein Rahmengesetz zur Einführung der 35-Stunden-Woche abstimmen. Die Arbeitszeitverkürzung mit dem Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit soll in der Regel zum 1. Januar 2000 wirksam werden. Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten haben zwei Jahre länger Zeit. Der Übergang wird von Verhandlungen der Sozialpartner auf Branchen- und Betriebsebene begleitet sein und soll in zwei großen Schritten stattfinden. In der ersten Phase ab 1998 wird die Regierung Unternehmen, die die Arbeitszeit um zehn Prozent verkürzen und gleichzeitig mindestens sechs Prozent zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, mit Prämien nach der Regel belohnen: Je mehr Arbeitsplätze, desto mehr Geld. Gleichzeitig werden Arbeitgeber und Gewerkschaften dezentral über die Modalitäten der Arbeitszeitverkürzung verhandeln. Die Ergebnisse sollen Mitte 1999 in ein Ausführungsgesetz einfließen.

Abgesehen von der grundsätzlichen Bereitschaft zur Einführung der 35-Stunden-Woche, die die jetzige Regelarbeitszeit von 39 Stunden ablösen soll, ist damit noch alles offen. In den nun beginnenden Verhandlungen muß geklärt werden, wie die Arbeitszeitverkürzung umgesetzt wird. Unter anderm sind Jahresarbeitszeitregelungen oder sogar Lebensarbeitszeitregelungen möglich.

Aber bringt das auch neue Arbeitsplätze?

Geklärt werden muß auch, wie hoch künftig Überstunden besteuert werden. Und wie viele überhaupt zulässig sind. Auch der im Wahlkampf erwogene Weg zu einer weiteren Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden sowie die Frage des Lohnausgleichs müssen beraten werden. Die Regierung will „so flexibel wie möglich“ bleiben, erklärte Arbeitsministerin Aubry.

Die französischen Reaktionen auf die Arbeitszeitverkürzung waren fast durchweg positiv. In einer Meinungsumfrage des Sonntagsblattes Journal du Dimanche lobten gestern 63 Prozent der Befragten die Reform, wenngleich auch 56 Prozent daran zweifeln, daß sie die nötigen neuen Arbeitsplätze bringt. In den Reihen der konservativen Opposition fanden sich nur vereinzelte Stimmen, die in der Reform einen „Sieg der Ideologie über die Vernunft“ ausmachen wollten. Und selbst Arbeitgeberchef Gandois mäßigte seinen Ton, als er sich Stunden nach dem Ende der Konferenz selbst korrigierte: Er sei nicht betrogen worden, weil man ihm schließlich nichts versprochen habe.

Die Gewerkschaftschefs waren durchweg des Lobes voll. Die Chefin der moderaten Gewerkschaft CFDT, Nicole Notat, deren sozialpolitische Vorstellungen auf große Zustimmung bei dem konservativen Ex-Regierungschef Alain Juppé gestoßen waren, lobte euphorisch die „moderne Vision“ hinter der Reform und hoffte darauf, daß Frankreich damit in Europa „die Rolle einer Lokomotive“ übernehmen werde.

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