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Frankreich streitet über TodesschussBeifall für Selbstjustiz

Ein 19jähriger Räuber wurde von einem Juwelier erschossen. Im Internet hat der Schütze mehr als 1,6 Millionen Unterstützer.

Demonstranten in Nizza fordern die Freilassung des Todesschützen. Bild: imago/PanoramiC

PARIS/NIZZA dpa | Die verhängnisvolle Tat war eine Sache von wenigen Minuten. Kurz vor 9.00 Uhr stürmten am Mittwoch vergangener Woche zwei bewaffnete Männer einen kleinen Juwelierladen in der französischen Hafenstadt Nizza, prügelten auf den Besitzer ein und räumten den Tresor leer.

Kurz darauf peitschten Schüsse durch die Straße vor dem Geschäft. Juwelier Stéphane Turk versuchte, die mit einem Motorroller flüchtenden Räuber zu stoppen. Einen der Täter traf ein 7,65-Millimeter-Projektil in den Rücken. Der 19-jährige Anthony stürzte vom Roller und starb. Sein Komplize entkam.

Ist der Juwelier ein Held oder Mörder? Diese Frage sorgt in Frankreich seitdem für hitzige Debatten. Die Staatsanwaltschaft hat ein Anklageverfahren wegen vorsätzlicher Tötung gegen den 67-Jährigen eingeleitet. Die Ermittler glauben ihm nicht, dass er vom Motorroller aus mit einer Waffe bedroht wurde und erst dann gezielt schoss.

Zahlreiche Franzosen halten das allerdings für ziemlich unerheblich. Mehr als 1,6 Millionen Menschen haben sich in den vergangenen Tagen über das soziale Netzwerk Facebook mit dem Täter solidarisiert. Noch heute kommen täglich neue hinzu.

„Leider leben wir in einem Land, in dem man selbst zur Tat schreiten muss, wenn man Gerechtigkeit will“, „Es gibt nichts zu bereuen“ oder „Mir tut es nur leid, dass er den zweiten (Täter) nicht auch getroffen hat“, heißt es in Kommentaren.

Immer wieder wird zudem auf das lange Vorstrafenregister des getöteten Räubers verwiesen. Der 19-Jährige war bereits 14 Mal wegen Diebstählen und anderer Delikte verurteilt worden – trotz seines jungen Alters.

Demonstration für Selbstjustiz

Bei einer Demonstration in Nizza kamen Anfang der Woche rund 1.000 Menschen zusammen. „Kein Gefängnis für Gerechtigkeit“, „Weg mit dem Pack“, lauteten da die Parolen – die Proteste der schwangeren Freundin des Opfers störten offensichtlich kaum jemanden.

Für die Politik ist der Fall mittlerweile zum Problem geworden. Der Überfall reiht sich in eine Serie von Diebstählen und Raubüberfällen ein, die seit Monaten die Polizei an der Mittelmeerküste in Atem hält. Hinzu kommen nahezu wöchentliche grausige Nachrichten über blutige Abrechnungen im Bandenmilieu auf Korsika und in Marseille.

In zahlreichen Internetbeiträgen zum „Helden von Nizza“ muss sich die Regierung unter Präsident François Hollande den Vorwurf gefallen lassen, unfähig zu sein, die Kriminalitätsprobleme im Land in den Griff zu bekommen.

Öffentliche Meinung in Echteit

„Das ist das erste Mal, das wir eine solche Unterstützung erleben, die sich gegen die traditionellen Medien und die Politik behauptet“, kommentiert der Soziologe Michel Wieviorka in der Zeitung Journal Du Dimanche. Die öffentliche Meinung komme hier in Echtzeit und ohne Mittler zum Ausdruck.

Sein Fachkollege Dominique Cardon spricht in der Libération von einem nie dagewesenen und beeindruckenden Phänomen.

Die einzigen, die sich derzeit wirklich die Hände reiben können, sind die Rechtsextremen von der Front National. „Ich hätte wohl dasselbe getan“, kommentierte Parteigründer Jean-Marie Le Pen süffisant die Schüsse des Juweliers.

Den Verfechtern des Rechtsstaates wie dem Präsidenten bleibt angesichts der Empörung nur eines: Sie müssen darauf verweisen, dass die Justiz ihre Arbeit machen werde und dass Selbstjustiz keine Lösung sein könne.

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19 Kommentare

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  • Das ist mal wieder typisch. Beschützen kann die Justiz nicht-, umso schneller aber,verurteilen.

  • G
    Gast

    Wenn das Gesetz nicht dazu taugt, um Realität und Moral abzubilden, muss das Gesetz angepasst werden.

    Räuber müssen Angst vor den Konesquenzen haben, um die Straftat zu unterlassen. Wenn Verbrecher sich hinterher als Opfer darstellen, ist so zu leicht und gehört unterbunden. Das Opfer ist immer der, gegen den die Straftat begangen wird. Er oder sie hatten keine freie Wahl. Die Entscheidung haben die andern getroffen. Dann sollen sie dafür auch die Konesquenzen tragen! Wer Menschen mit dem Leben bedroht, muss auch damit rechnen seines zu verlieren.

  • S
    seismic

    Wenn jemand Todesängste ausstehen muss?

    Wenn dieses Opfer vielleicht

    auch noch Attacken auf die eigene Sexualität, auf den Verstand, auf das Augenlicht

    und auf die psychiatrische Gesundheit erfahren hatte oder gerade noch so abwehren konnte

    und dann einen Zugang zu einer Waffe hat, muß der Täter

    damit rechnen.

    Das Opfer steht derartig unter Adrenalin, dass Affekttaten dieser Art nicht auszuschließen sind. Doch klugerweise sollte man die Gründe für eine versagende Erziehungspolitik aufzeigen und den Jungen eine

    andere Erziehungsklientel zugestehen! Wenn dieser 19 jährige Teenager drogensüchtig

    war oder unter der Fuchtel einer Gang stand, war auch er ein Opfer und nicht nur ein Täter!

    • @seismic:

      Wenn das Opfer sich außer Lebensgefahr befindet, wie in diesem Fall, und schießt, ist es Täter.

      Der Juwelier kann sich glücklich schätzen, wenn er Mord im Affekt bekommt, denn hätte er sich wie ein klassisches Opfer verhalten, er hätte niemaden auf der Flucht in den Rücken geschossen, sondern wäre im Schock passiv geblieben.

      Selbstjustiz hat in einem Rechtsstaat nicht verloren.

    • @seismic:

      Ob da jemand ein Zucken im Schritt oder Todesangst hatte ist mir scheißegal!

       

      Wer mit Schusswaffen umgeht muss so rational wie möglich handeln. Das ist man den Menschen in seiner Umgebung einfach schuldig! Mir ist aus eigener Erfahrung bekannt das dies mit der nötigen Ausbildung machbar ist.

       

      Wer weder Ausbildung noch die nötigen Nerven und grundlegende Rechtskenntnis hat, dem gibt man besser nicht mal eine Axt an die Hand. Denn das geht nur durch glücklichen Zufall "gut" aus.

       

      Glück auf!

       

      Karl

  • M
    muh

    Die Sache hinterlässt bei mir Bauchschmerzen. Normalerweise habe ich mit Schüssen auf (auch flüchtige) Räuber keine Probleme. Wenn das aber in einer Stadt um kurz vor 9, wo vermutlich eine Menge unbeteiligte gefährdet werden (Schüler auf dem Weg zur zweiten Stunde, Arbeiter und Angestellte auf dem Weg zur Arbeit), sollte der Schutz unbeteiligter über dem Schutz des eigenen Eigentums stehen.

    • @muh:

      Das Eigentum dürfte über die Versicherung abgedeckt sein. Wär sonst ein schlechter Geschäftsmann.

       

      Glück auf!

       

      Karl

  • nun, das ist le pen "geistiges" mileu. die sufui-gescvhichtre, wo der beim juwelenraub erwischte dieb um seine strafe herumkommt, nach art des "mundraubes" zeigt , allerdings, da das gerechtigumgsgefühl des oruewntsa diochj weit über primitve "rache2-lynchjusztiz hinash iust. dss it auch dui erste stufe. dadansach komt die des "gesetzes". die stufe ist da nicht erruiicht. ds 2gestz12 ist nicht da etze wort mebschlichrn gesites, der kan mehr. aber die hier nicht.

  • D
    Devil

    Es sind Räuber mit 14 Vorstrafen, solche Leute sind der Grund warum gesellschaften untergehen.

    Dieser ganze Resozialisierungsquatsch funktioniert einfach nicht, manche kapieren es einfach nicht die muss man wegsperren. Böse gesagt kommt es die Gesellschaft natürlich so billiger.

    • @Devil:

      Nichts gegen Wegsperren, aber hier wurde in Selbstjustiz hingerichtet.

      In Selbstjustiz gehen auch Gesellschaften unter, aber nicht in denen, wo junge Menschen es nicht nötig haben, zu Räubern zu verkommen.

  • @ D.J.:

     

    „Ihn als Helden zu feiern, sagt aber viel darüber aus, wie sehr unsere Gesellschaften in den letzten Jahren zumindest mental verroht sind.“:

     

    Könnte es auch was darüber aussagen, daß Gewaltverbrechen zunehmen, und die Polizei hilflos agiert?

    Und daß deshalb in gewissen Kreisen die Perspektive als Berufsverbrecher lohnenswert erscheint?

     

    „Die Zahl junger Gewalttäter sinkt seit Jahren, verkündet die amtliche Statistik (in D). Tatsächlich liegt sie womöglich 80 Mal höher als offiziell bekannt, halten Kriminologen nun dagegen“:

     

    http://www.welt.de/regionales/duesseldorf/article114003255/Wie-die-Polizei-Statistik-Verbrechen-verheimlicht.html

  • Seltsame Haltung!

     

    Hinterherschießen, wenn der "gegenwärtige Angriff" bereits nicht mehr stattfindet, geht garnicht und dürfte auch in Fr. für Zivilisten verboten sein?

     

    Selbstverteidigung beim gegenwärtigen Angriff, sehr gern, aber hier ist auf Mordmerkmale zu prüfen!

     

    Glück auf!

     

    Karl

    • RS
      Reiner Sauer
      @KarlM:

      Wir müssen uns entscheiden mit wem wir solidarisch sind. Wir können nicht gleichzeitig mit Täter und Opfer solidarisch sein. Dabei gibt es keine Kompromisse.

      • @Reiner Sauer:

        Wer ist denn für Sie das Opfer?

         

        Von den gesellschaftlichen Verhältnissen her kann auch der Räuber Opfer sein, muss es aber nicht.

         

        Ansonsten sehe ich das so:

         

        Bei absehbarem und gegenwärtigen rechtswidrigen ANgriff mit potenziell tödlichen Mitteln darf sich jeder mit tödlicher Gewalt verteidigen. Endet der Angriff so ist ein "Hinterherschießen" für Zivilisten indiskutabel. Das Stoppen eines bewaffenten Räubers sollte man der Polizei überlassen. Glück auf!

         

        Karl

  • G
    Gusto

    Jetzt reicht es dem primitiven Pöbel also nicht mehr, daß Bullen Leute wegen Nichtigkeiten abknallen, jetzt soll jeder selber umlegen dürfen, wen er will.

  • R
    Ruhender

    Unglaublich! Wo geht Europa hin, unter dem Einfluß der neuen rechten Seuche?

    • B
      Bald
      @Ruhender:

      Also mein liber Ruhender, dieser EU-Apparat ist so ziemlich der Grund für das Aufkommen der "neuen" rechten Seuche.

       

      Alles was sich gegen dieses verbrecheriche EU-Parlament auflehnt, wird als "rechtspopulistisch" bezeichned.

      Wenn also jeder einfach so beliebig als "rechtsradikal" bezeichnet werden kann, ist es kein Wunder dass sich die Konservativen eher mit den Rechtsradikalen identifizieren koennen.

      Beiläufig kann man anmerken, dass Barroso, Cohn-Bendit, und Martin Schulz die im Parlament praktisch das Sagen haben, buchstäbliche Kommunisten sind, sie sitzen dort, obwohl sie in 100 Jahren nirgendwo reingewählt werden würden.

      Den Griechen haben sie bereits komplett enteignet, als nächsdes sind Sie dran.

  • C
    CatDog

    Räuber als Opfer? Mit der Ausführung des Raubes, der Umsetzung einer kriminellen Absicht, haben Sie alle Konsequenzen auf sich genommen. Den Tod inklusive. Prügelten auf den Besitzer ein! Wenn es einem selber passiert und das Adrenalin schießt, denkt man anders drüber nach. Niemand hat das Recht anderen Menschen ihr Eigentum zu entwenden und erst ganz bestimmt nicht sie aus diesem Grund zu schlagen. Die Täter haben ihre Rechte verloren, sie sind aus dem imaginären Gesellschaftsvertrag ausgetreten.

  • D
    D.J.

    Solange keine unmittelbare Bedrohung mehr existiert, ist das Verhindern von Verbrecherflucht mit notfalls (!) finalen Mitteln lediglich der Polizei gestattet, und das ist gut so. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass es zu einer Mordanklage kommt. Ich denke, dass Totschlag im Affekt und ein eher niedriges Strafmaß dabei herauskommt. Und das ist ebenfalls gut so. Ihn als Helden zu feiern, sagt aber viel darüber aus, wie sehr unsere Gesellschaften in den letzten Jahren zumindest mental verroht sind.