Frankreich streikt: Sogar die Presse spricht von der Krise
Die sonst eher boulevardesken französischen Medien sind voll von Berichten über verarmende Rentner.
PARIS taz Das Geplapper über die Liebesgeschichten und andere Befindlichkeiten im Élysée-Palast hat das Thema bloß aus den Medien verdrängt. Aber im Alltag der FranzösInnen war es immer präsent: die wachsenden Ungerechtigkeiten bei der Einkommensverteilung, die sinkende Kaufkraft der großen Mehrheit, die steigende Arbeitslosigkeit und die Verarmung immer größerer Bevölkerungsschichten. Allen voran die RentnerInnen.
Der Streik zwingt die Medien, sich der Realität von Arbeit, Arbeitslosigkeit und Niedriglohn zu öffnen. Statt mit Verbrechen müssen sie ihre Kameras und Mikrofone in die mehr als 200 Demonstrationszüge im Land und tief in den sozialen Alltag halten. Manche ReporterInnen gehen auch an bestreikte Bahnhöfe und Flughäfen und suchen dort nach Unzufriedenen, die über den Streik schimpfen. Doch davon finden sie nicht viele. Bei ihren Straßenumfragen antworten auch jene, die stundenlang im Stau gestanden oder weite Strecken zu Fuß oder per Rad zurückgelegt haben, dass sie die Aktionen "verstehen" und billigen. Und dass sie bereit sind, Nachteile in Kauf zu nehmen. Begründung: "So kann es nicht weitergehen." Schon vorab hatte das Meinungsforschungsinstitut Ifop ermittelt, dass 78 Prozent der FranzösInnen den Streik befürworten.
Über die Demonstrationen im Süden des Landes erfahren die FernsehzuschauerInnen, dass allein in den Alpes Maritimes mehr als 100.000 RentnerInnen unterhalb der Armutsgrenze leben. Die sonnige Region hat in den vergangenen Jahren zunehmend alte Menschen angezogen. An diesem Streiktag sagen manche von ihnen verschämt in die Mikrofone, dass sie mit 700 beziehungsweise 800 Euro leben müssen. Und dass sie es nur bis ans Monatsende schaffen, weil Verwandte und FreundInnen helfen. Eine pensionierte Beamtin (830 €) wird vor der Kamera rot, als sie sagt, dass sie kein Geld für kleine Geschenke für ihre Enkel hat. In Paris ziehen Weißhaarige mit einem Sticker über die Boulevards: "Verarschte Rentner" steht darauf. DORA
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