■ Frankreich: Kein Ende der Lkw-Streiks in Sicht: Bitterer Nachgeschmack
Zwölf Tage hat die französische Bevölkerung die streikenden Lkw-Fahrer auf einer Wolke von Sympathie getragen. Die Benzinknappheit, die Engpässe auf den Märkten und die Kurzarbeit – all das konnte nichts daran ändern: Sie hielten zu ihren „copains routiers“. Wie im vergangenen Jahr, als Eisenbahner und Beamte Frankreich lahmlegten, sahen die Franzosen vor allem die Vorteile der Bewegung. Hinter dieser Toleranz verbirgt sich ein Verständnis für radikales Engagement, das fester Bestandteil der französischen Geschichte ist. Zudem enthüllen die Zuwendungen an die Streikenden einen tiefsitzenden Pessimismus. Die Franzosen haben Angst – vor der Verschlechterung der sozialen Lage. Vor sinkenden Mitbestimmungsrechten. Vor Entlassungen. Und davor, daß die Regierung sie nicht wirklich vertritt. Weil die Streikenden – stellvertretend für alle – ein Fanal gegen diese Ängste setzten, und weil ihre Forderungen die Malaise der ganzen französischen Gesellschaft spiegeln, wurden sie unterstützt. Bis jetzt.
Doch die Erschöpfung aller Beteiligten und die immer häufigeren Szenen der wirtschaftlichen Zerstörung infolge des Streiks könnten für das Umschlagen der Stimmung in ihr Gegenteil sorgen. Die französische Regierung hat das Ihrige dafür getan. Statt in dem Konflikt zu vermitteln, hat sie lange völlig untätig abgewartet. Dann hat sie „Verhandlungen“ organisiert, die sie einseitig abbrach, nachdem nur in einem Drittel der Punkte Ergebnisse erzielt worden waren. Anschließend gab sie die Verantwortung an die Lkw- Fahrer zurück.
So stahl sich die Regierung mit Scheinverhandlungen aus der Verantwortung. Den Streikenden auf den Straßensperren blieb gar nichts anderes übrig, als den „Kompromiß“ abzulehnen. Allerdings haben sie nun auch nicht mehr die Kraft, das ganze Land lahmzulegen, was sie in der vergangenen Woche noch mit Leichtigkeit hätten tun können.
Wie schon oft in der französischen Geschichte wird eine Bewegung, die überraschend stark begonnen hat, nun langsam und schwach abbröckeln, möglicherweise an manchen Stellen gewalttätig entarten, in jedem Fall aber einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. Nach dem öffentlichen Dienst im vergangenen Jahr haben jetzt auch die französischen Lkw-Fahrer erfahren, was sie von der Regierung zu ihrer Verteidigung zu erwarten haben: Scheingefechte. Dorothea Hahn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen