Frankfurter Buchmesse: Die Türkei ist nicht ganz verloren
Auf der Buchmesse herrschte großes Interresse für die Entwicklung in der Türkei. Kritische, in Deutschland selten zu hörende Autoren und Journalisten erhielten viel Aufmerksamkeit.
Neben Frankreich, dem Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, stand ein anderes europäisches Land im Fokus der Aufmerksamkeit. „Die Türkei ist noch immer das größte Gefängnis für Journalisten und Autoren weltweit“, sagte Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei der Eröffnung der Messe.
Auf zahlreichen Panels wurde über die Lage in der Türkei diskutiert. Eines der großen Themen war die Einschätzung, inwiefern das Land sich auf dem Weg in eine Diktatur befindet. So beispielsweise auch am Sonntagnachmittag unter dem Titel „Kritische Stimmen aus der Türkei“. Gemeinsam mit der Buchmesse hatte die Initiative „FreeDeniz“ den kurdischen Kolumnisten Irfan Aktan, die Frau des inhaftierten Journalisten Ahmet Şık, Yonca Şık, Şıks Anwalt Can Atalay, sowie die Schriftstellerin Asli Erdogan eingeladen.
Der Kolumnist Aktan sagte: „Die Türkei hat sich noch nicht einer autoritären Ordnung ausgeliefert. Macht euch keine Sorgen. Es ist nicht so, dass wir weinend durch die Straßen gehen“. Eine Aussage, die als Quintessenz dieser Veranstaltung gelten kann, die viele Interessierte wegen des großen Andrangs gleich von mehreren Stehreihen aus verfolgten. Der Anwalt Atalay kritisierte das Gastgeberland der Buchmesse. Auch Deutschland habe dazu beigetragen, dass die AKP so mächtig werden konnte.
Es war absehbar
Jahrgang 1990, hat Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft in Wien, Bologna und Chicago studiert. Er schreibt über soziale Bewegungen, Rechtsextremismus, Migration sowie Politik und Gesellschaft in der Türkei.
Asli Erdogan ergänzte: „Wir hätten sehen müssen, dass ein dunkle und schreckliche Ära anbricht. Es gab sehr viele Anzeichen dafür.“ Die Schriftstellerin Erdogan, gegen die derzeit ein Gerichtsverfahren wegen Terrorpropaganda, Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und versuchter Umsturz der staatlichen Ordnung geführt wird, in dem der Staatsanwalt ihre lebenslange Haft fordert, war in Frankfurt die prominenteste Stimme der intellektuellen Opposition der Türkei.
In einem Gespräch am Freitagabend über „Bücher gegen die Zensur“ mit den Verlegern Ragıp Zarakolu und Christoph Links sagte sie über diejenigen, die sie ins Gefängnis gebracht hatten: “Sie haben mich gegessen, konnten mich aber nicht verdauen. Sie haben die Kraft der Literatur unterschätzt“. Auch junge und in Deutschland weniger bekannte Akteure erhielten auf der Buchmesse die Möglichkeit, ihre Eindrücke zu teilen.
Auf dem Podium „Journalistische Lösungen für eine Krise in der Türkei“, die von Maximilian Popp, Türkei-Korrespondent des Spiegels, moderierte wurde, beklagte die kurdische Journalistin Nurcan Baysal, dass sich die europäsiche Öffentlichkeit jenseits von bekannten Namen nur wenig um andere, vor allem kurdische Kollegen kümmere – obwohl ein Großteil der verhafteten Journalisten kurdisch sei: „Kennt hier jemand den Namen eines verhafteten kurdischen Journalisten?“, fragte sie das Publikum. Eine Antwort bekam sie nicht. Journalisten, Publizisten und Aktivisten in der Türkei leben zwischen kämpferischer Haltung und pessimistischer Einschätzung.
Immer noch Raum für Kritik
Die Journalistin Onur Burçak Belli unterstrich, dass es für Oppositionelle ein tägliches Pendeln zwischen diesen beiden Polen sei, sie aber trotzdem weitermachten. Sie selbst kenne diese Zerrissenheit seit ihrer Kindheit. Da die Türkei aber eben noch keine Diktatur sei, gebe es immer noch Raum für Kritik und Protest, betonte Belli. Zugleich gebe es aber kein Mainstreammedium mehr, dass sie beschäftigen würde. Belli zeigte ein Foto, auf der Journalisten einen Neujahresgruß an inhaftierte Kollegen schickten. Auf diesem Bild war auch der Journalist Ahmet Sik zu sehen.
Wenige Stunden, nachdem sie das Foto aufgenommen hatten, wurde er verhaftet. „Ahmet winkt sich auf diesem Bild selbst zu“, sagte Belli.
Die andere Seite, die Erzählung der türkischen Regierung, fand sich auf der Buchmesse ebenso. Das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus beanspruchte eine Fläche von knapp 300 Quadratmetern – so viel Platz, wie kaum ein anderes Land auf der Buchmesse. Das wirkte trotzig, als ob der türkische Staat den zahlreichen kritischen Stimmen vor Ort mit gekauften Quadratmetern entgegenhalten wollte.
Absurder Wettbewerb
Ein Buch, das die türkischen Aussteller gratis ausgaben, zeigte, mit welchen Mitteln der türkische Staat um die Deutungshoheit ringt. Auf dem Cover ist Rauch und Feuer, eine Türkeifahne und ein kleiner Junge auf den Schultern eines Mannes zu sehen, der die rechte Faust in die Höhe reckt. Die Texte in dem Buch sind eine Zusammenstellung verschiedener Autoren, die den Tag des gescheiterten Militärputsches am 15. Juli 2016 nationalpathetisch und regierungskonform erzählen.
Das kurioseste an dem Buch ist, dass die Texte durch die Jury eines Wettbewerbs ausgesucht wurde. Absurd, mag man denken. Wer die Entwicklungen in der Türkei mitverfolgt und die traurige und immer verwirrendere Lage im Land kennt, wird kaum überrascht sein. Es zeigt aber auch, dass das autoritäre Regime seine Erzählungen in akuter Gefahr sieht und Gegenerzählungen installieren muss. Insofern ist es ein großes Verdienst der Buchmesse, den Stimmen, die eine andere Geschichte über den Putsch und seine Folgen zu erzählen haben, eine Bühne geboten zu haben.
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